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Weltgeschichte(n)

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Die Anregung von Bürgermeister Gratz, der Wiener Individualverkehr könne eventuett durch eine Auflassung der Grünen Wellen eingedämmt werden, hat im Rathaus der Bundeshauptstadt augenblicklich hektische Aktivität ausgelöst. Wie wir von gewöhnlich hervorragend informierten Beobachtern der Rathausszene erfahren, brüteten bereits am nächsten Morgen Magistratsund Obermagistratsräte, Senats- und Obersenatsräte, aber auch simple Kanzleioffiziale über eigenen Vorschlägen zur Einschränkung des Wiener Individualverkehrs. Daraufhin setzte Gratz ein improvisiertes Brainstorming für seine Mitarbeiter zur Gewinnung von Ideen für die Eindämmung des Autoverkehrs an. Gratz eröffnete, wie uns ein Teilnehmer der Veranstaltung wissen ließ, diese mit der Ermunterung, in einem echten Brainstorming nach amerikanischem Muster müsse jeder sofort alles aussprechen, was ihm in den Sinn komme. Leider können wir nur einen kurzen Auszug aus dem uns zugespielten Hundert-Seiten-Protokoll veröffentlichen.

„Alle Wiener Ausfallsstraßen an geraden Tagen Einbahnen stadtauswärts, an ungeraden Tagen stadteinwärts, wie wäre es damit?“ sagte Senatsrat Pimplinger.

„Zu radikal“, meinte Stadtbauoberkommissär Provisi, „wer diese Stadt mit seinem Wagen verlassen will, soll es auch an ungeraden Tagen können. Aber wir könnten den Verkehr einbremsen und zugleich zur Bauring-Sanierung beitragen.

„Wie, wie, heraus damit!“ rief der ganze Saal.

„Ganz einfach“, sagte Provisi, „jede Wiener Vorrangstraße ist alle hundert“ Meter mit einem Verkehrs-blockierer aus Beton-Fertigteilen zu versehen, der von den motorisierten Egoisten umfahren werden muß.“

„Die künstlerische Ausgestaltung könnte Professor Göschl übernehmen“, regte Oberkunstdirektor Feinspitz an.

„Vergessen Sie mir ja nicht die ausnahmslose Abschaffung aller Vorrangstraßen!“ meinte Oberamtsrat Simpellner.

„Ich weiß etwas“, rief drauf Kanzleileiter Tafelböck, „wenn wir schon die Grünen Wellen abschaffen, dann lassen wir doch die Ampeln überhaupt weg! Dann entstehen doch an jeder Kreuzung automatisch die gewünschten Verkehrsblockierer, die den Individualverkehr ad absurdum führen.“

„Unmöglich“, protestierte Obermagistratsrat Schmiering, „die Firma, die uns die Ampelanlagen liefert, darf nicht arbeitslos werden, das wäre unsozial ihren Mitarbeitern gegenüber. Aber ich denke an generelle Dreißig-Minuten-Rotphasen in ganz Wien, die selbst den verstocktesten Wiener Autofahrer zur Besinnung über das Unsinnige seiner Fortbewegungsweise zwingen!“

„Wie wäre es“, mevnte ein kleiner Amtsrat Nullo aus dem Hintergrund, „mit einem generellen, absoluten Parkverbot auf allen öffentlichen Verkehrs flächen und Tausend-Schilling-Strafmandaten für alle Übertreter?“

„Das machen wir sowieso“, sagte Magistratsdirektor Stopper, „aber das kann nur ein Tropfen auf einen heißen Stein sein. Eine wirklich nachaltvge Eindämmung des Individualverkehrs kann nur durchgreifen, wenn dessen negative Auswirkungen in jedem Kraftfahrzeug an jeder Stelle der Stadt zu jeder Zeit fühlbar werden.“

„Warum“, rief, hochrot im Gesicht vom Denken, Obersenatsrat Schnuck in den Raum, „warum verlegen wir nicht in sämtlichen Wiener Straßen Stuttgarter Schwellen, aber in kürzesten Abständen und quer zur Fahrtrichtung? Dann werden die Straße zu Waschrumpeln, die keiner mehr befahren wül, und alles benützt die Straßenbahn.“

„Ein guter Gedanke“, sagte der unscheinbare, aber wichtige Amtsrat Grau, „ein sehr guter Gedanke.“

„Wobei ich mich nur frage, wie wir in selbstloser Ausübung unserer Pflichten für das Gemeinwohl selber über diese Rumpeln gelangen“, sagte Obersenatsrat Schnuck, „vielleicht wäre es möglich, diese Schwellen mittels eines von jedem im öffentlichen Interesse fahrenden Wagen ausgestrahlten Funksignals automatisch zu versenken?“

„Das erscheint mir fast zu aufwendig“, sinnierte Amtsrat Grau, „da käme es fast schon billiger, alle Dienstwagen der Gemeinde Wien,aber auch der in Wien lokalisierten Stellen des Bundes, zu verkaufen und durch Luftkissenfahrzeuge zu ersetzen.“

„Glänzend“, flüsterte Stadtbau-oberkommissär Provisi, ,,genau das machen wir. Das wird ein Gefühl sein...“

„Ich kenne eine Firma, die uns solche Fahrzeuge zu einem Spottpreis baut!“ sagte Obermagistratsrat Schmiering. Leider bricht unser Protokoll an dieser Stelle ab.

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