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Wo Ghadafi seinen Luftwaffennachwuchs ausbilden läßt
Moskau ist die gute Stube der Sowjetunion, Sibirien und die mittelasiatischen Unionsrepubliken gelten als Moskaus Hinterhöfe. In Frunse, der Hauptstadt Kirgisiens, sieht man mehr mongolische Gesichter als anderswo im multinationalen Sowjetreich. Doch hier kann man auch Begegnungen ganz unerwarteter Art erleben: Beim. Abendessen im Intourist-Hotel setzten sich drei junge Leute an unseren Tisch. Was hatte sie in diesen Winkel der Sowjetunion verschlagen?
Moskau ist die gute Stube der Sowjetunion, Sibirien und die mittelasiatischen Unionsrepubliken gelten als Moskaus Hinterhöfe. In Frunse, der Hauptstadt Kirgisiens, sieht man mehr mongolische Gesichter als anderswo im multinationalen Sowjetreich. Doch hier kann man auch Begegnungen ganz unerwarteter Art erleben: Beim. Abendessen im Intourist-Hotel setzten sich drei junge Leute an unseren Tisch. Was hatte sie in diesen Winkel der Sowjetunion verschlagen?
Auf Englisch erklärten sie uns, sie studierten arabische Literatur an der Universität Frunse. Das war recht unglaubwürdig; um so mehr überraschte uns, was wir nach näherem Kennenlernen zu hören bekamen. Gemeinsam mit anderen Somaliern und Libyern, mit Algeriern, Maliern, Angolanern, Ugandern, Südjemeniten, Madegassen und Mogambiquern wurden sie in der Nähe von Frunse zu Piloten und Flug- zeugtechnikem ausgebildet. Der Somalier war schon zweieinhalb Jahre in der Sowjetunion und sprach fließend Russisch. Die beiden Libyer waren erst vor drei Monaten angekommen und konnten noch nicht die kyrillische Speisekarte lesen.
Eine Reihe afrikanischer und arabischer Volksrepubliken läßt sich von Moskau unterstützen, ihre Führer bekennen sich zu einem mehr oder weniger schillernden Marxismus. Was aber hatte den Kommunistenhasser und religiösen Eiferer, Oberst Ghadafi von Libyen, bewogen, seinen Luftwaffennachwuchs in die atheistische Sowjetunion zu schicken?
Man weiß, daß der libysche Diktator seinen Ölreichtum zu umstürzlerischer Politik benutzt und überall Waffen kauft, wo er sie nur bekommen kann - in Moskau und Prag derzeit leichter als in London und Paris. Es ist auch bekannt, daß es dem reichen Entwicklungsland Libyen an einheimischen Personal fehlt, das mit modernem Kriegsgerät umzugehen weiß. Ghadafi hat Panzer und MIG-Flugzeuge gegen Barzahlung aus der Sowjetunion erhalten. Sein Ziel ist, Nassers Nachfolge anzutreten und Israel zu vernichten. Für den „heiligen Krieg der Araber”, so hat er einmal gesagt, würde er sich sogar mit dem Teufel verbünden.
Dem Somalier schien es in der Sowjetunion zu gefallen, er kam aus einem der ärmsten, rückständigsten Länder der Welt. Die beiden Libyer jedoch hatten bereits in Frankreich und England westliche Früchte genossen und klagten nun über unerfreuliche Erfahrungen in Kirgisien. „Es kam alles anders, als man es uns versprochen hatte”, sagten sie. „Nach unserer Ankunft wurden wir in ein Massenquartier gesteckt. Das Essen in unserem Lager ist ungenießbar, wir bereiten uns jetzt selber die Mahlzeiten, wenn wir die Zutaten auftreiben können. Oder wir gehen zum Essen ins Hotel. Übrigens muß man dort beim Bezahlen ebenso aufpassen wie in den Läden …”
Von ihren Ausbildern, sagten die Libyer, würden sie ständig aufgefordert, an ideologischen Kursen teilzunehmen, obwohl ihre Regierung das verboten habe. Zum Beten gebe es in Frunse nur eine einzige Moschee.
„Wenn wir mit dem Taxi fahren wollen, werden wir immer wieder von den Russen zur Seite gedrängt. Die Taxifahrer fordern von uns den doppelten bis dreifachen Preis, meist halten sie gar nicht für uns an, und wenn wir dann zu Fuß gehen, ruft man uns Schimpfworte nach.”‘
Streit gebe es vor allem um Mädchen, erklärten unsere Tischnachbarn, die entgegen islamischen Geboten eifrig dem Alkohol zusprachen. Und obgleich Alkohol und Mädchen in Frunse immer noch leichter zu haben sind als in Gha- dafis erzpuritanischem Tripolis, sagte einer der beiden Libyer pathetisch: „Der Tag, an dem wir wieder libyschen Boden betreten, wird ein großer Tag für uns sein!”
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