7086128-1994_15_04.jpg
Digital In Arbeit

Sozialkritische Demokraten und ihre Genossen

Werbung
Werbung
Werbung

Der Wahlkampf zu den ungarischen Parlamentswahlen am 8. Mai läuft eher lautlos. Das Dermkratenforum, nach wie vor die stärkste Partei in der christlich-nationalen Koalition, hütet sich davor, eine Bilanz zu ziehen. Immerhin gilt es, sachliche Auseinandersetzungen darüber zu vermeiden, daß die Partei seit dem tragischen Tode ihres Ministerpräsidenten Jozsef Antall im vergangenen Herbst vorwiegend mit Schadensbegrenzung beschäftigt ist. Das Antallsche Konzept, mit zäher Konsequenz die innenpolitische Stabilität zu wahren, hat einen viel zu hohen Preis verlangt; das weitere soziale Absinken der ärmeren Schichten, ein aussichtsloses Stagnieren für den Mittelstand und Reichtum, hemmungsloses Akkumulieren unrechtmäßig erworbener Güter für eine äußerst dünne Schicht, die schon in der kommunistischen Zeit oberste Zehntausend geheißen hat.

Nun hat aber der Alltagsbürger genug davon, die Kosten für die Bereicherung von wenigen zu tragen.

Die christlich-nationale Koahtion, am Ende ihres Lateins, kann ihm kaum noch etwas versprechen. Ebenso hat man kein Gehör für die abgestandene national-soziale Demagogie ultrarechter Gruppierungen. Das hochtrabende Universitätschinesisch der Liberalen wird nach wie vor nur in immer kleiner werdenden Kreisen des städtischen Neubürgertums verstanden. So hofft der Bund der Freien Demokraten, schon lange nicht mehr die stärkste Oppositionspartei im Lande, im Schlepptau der Sozialisten in einer sozial-liberalen Koalition für „ein intellektuelles Gegengewicht" sorgen zu können.

SELBSTÜBERSCHÄTZUNG

Der Partei Gyula Horns ist das freilich willkommen. Ihre bürgernah klingende Kritik an den herrschenden Zuständen wirkt vor allem auf breite Teile der bisher von der Koalition ignorierten Schichten attraktiv.

Die Hoffnung, aus den Wahlen erstarkt hervorzugehen, ist durchaus berechtigt. Dies führt bereits zu einer Selbstüberschätzung, deren verhängnisvolle Folgen sich erst nach den Wahlen zeigen dürften. Die Tatsache, daß Vorsitzender Horn bereits als Chef einer sozialistisch dominierten Regierung in ausländischen Medien Zusagen macht, ist dabei weniger besorgniserregend als die Tendenz, die Zeitgeschichte wieder einmal zu manipulieren. Während sich die christlich-nationale Koalition unter Jozsef Antall kläglich angestrengt hat, den Systemwechsel vor vier Jahren als Verdienst des eigenen „lautlosen Widerstandes" darzustellen, sind die Sozialisten dabei, in der kommunistischen Diktatur „auch ernsthafte soziale Züge" zu entdecken, die leugnen zu wollen „purer rechter Demagogie" gleichkomme.

An diesem Punkt wird allerdings die Tatsache vornehm übergangen, daß das Land den Systemwandel in einern wirtschaftlich, sozial und moralisch heruntergewirtschafteten Zustand erlebt hatte, der sich bei den ersten freien Nachkriegswahlen in einer klaren Absage an die aus ehrlichen Kommunisten zu demokratisch gewordenen Sozialisten äußerte.

Indes formieren sich aber auch schon Kräfte in und um die Partei, die sich nach vier Jahren „Schonzeit" wieder sicher genug fühlen, um die politische Bühne zu betreten; als besonders sozialkritische Demokraten. Willkommen sind sie natürlich auch den ehemaligen Genossen, die sich bislang unter den Liberalen als unerschütterliche Oppositionelle verdient gemacht haben. So trifft man sich wieder. Die Frage, was mit einstigen kommunistischen Koryphäen, die bislang im Demokratenforum ihre Karriere gemacht haben, geschehen wird, ist noch offen.

Fest steht, daß ein Wahlsieg der Sozialliberalen eine enge Zusammenarbeit mit jener Technokratenschicht, die nach der Ausschlachtung der kommunistischen Ausbeutung nunmehr auch die Privatisierung in die ordinärste Wirtschaftskriminalität verwandelt hat, „im Interesse der Regierbarkeit des Landes" genauso voraussetzen wird, wie dies im Falle der christlich-nationalen Koalition geschehen ist. Dem Wahlvolk wird das allerdings vorenthalten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung