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Mit der Brechstange ins Jugendzentrum

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Als der 18jährige Andreas S. und der 15jährige Rene L. zum Jugendzentrum der Salesianer in Klagenfurt/Waidmannsdorf zurückkommen, sind sie für eine gewalttätige Konfrontation gerüstet. Bewaffnet mit Eisenstangen und Stöcken versuchen sie, sich gewaltsam Zutritt zum Jugendzentrum zu verschaffen, nachdem sie dort wegen Sachbeschädigung und Einbruchsdiebstahl mit Hausverbot belegt waren. Über den Ausgang der brutalen Konfrontation gibt der Polizeibericht Auskunft: Ein Mitarbeiter des Jugendzentrums und ein zu Hilfe gerufener Polizist werden leicht verletzt, der Leiter des Jugendzentrums, P. Franz Kos, wird von den Jugendlichen ebenfalls attackiert, Andreas S. und Rene L., beide arbeitslos, beide vorbestraft, werden festgenommen.

Diese gewalttätige Auseinandersetzung ist in Kärntens Hauptstadt kein Einzelfall, sondern fügt sich nahtlos in die Ereignisse der vergangenen zwei Wochen ein. Das Protokoll der Straftaten in Kurzform: Ein 16jähriger wird als Anführer einer Einbrecherbande ausgeforscht, zwei drogenabhängige Mädchen (19 und 20 Jahre alt) überfallen in einer Kirche eine Studentin, ein Hjähriger raubt einen Volksschüler aus und in der Klagenfurter Innenstadt wird ein 24] ähriger von sieben Jugendlichen krankenhausreif geschlagen.

Die Ereignisse haben in der Öffentlichkeit und in den Medien eine breite Diskussion über „Jugend und Gewalt" ausgelöst, Soziologen und Therapeuten beschäftigen sich verstärkt mit der Frage nach den Gründen für das steigende Aggressionspotential von Heranwachsenden. Eine ernüchternde Erkenntnis dabei lautet: Es gibt auch in Klagenfurt Jugendliche, die niemand will und die auf der Straße leben.

An die 50 Straßenkinder leben mittlerweile nach inoffiziellen Schätzungen in Kärntens Landeshauptstadt, der Großteil dieser zwölf- bis 18jährigen lebt im Stadtteil Waidmannsdorf. „Eine schwierige Gegend" stellt der Salesianerpater Franz Kos, seit 1988 Kaplan in der Pfarre und seit einem Jahr Leiter des Jugendzentrums, fest. Der familiäre Hintergrund ist sehr oft der gleiche: Arbeitslosigkeit, Scheidung, Alkoholismus und Gewalt in der Familie. Verschärft werde diese Situation durch die soziale Struktur mit den vielen Wohnblöcken. „Die Jugendlichen flüchten vor den Streitereien und rotten sich in Banden zusammen, die Trost bieten", beschreibt P. Kos den vorgezeichneten Weg in Alkoholismus und Gewalt. Aufgrund der Gruppendynamik seien die Jugendlichen dem großen Druck ausgesetzt, „etwas aufzustellen". „Sie machen es, wie sie es selbst erleben. Jeder nimmt sich einfach, was er braucht, und der Stärkere drückt den Schwächeren." So sind die häufigsten Delikte kleine Ladendiebstähle und die Erpressung von Schwächeren. Was diesen Jugendlichen fehle, seien nicht so sehr die materiellen Mittel, als vielmehr ein Mindestmaß an Zuneigung und Aufmerksamkeit sowie einen Begegnungsort. „Oft brauchen die Jugendlichen nur jemanden, der ihnen zuhört und sich mit ihnen und ihren Problemen beschäftigt", so P. Kos.

Täglich kommen an die 30 Jugendlichen in das Zentrum, das von 18 bis 22 Uhr geöffnet hat. Darüber hinaus kommt es immer wieder vor, daß zehn oder mehr Straßenkinder in der Pfarre übernachten. „Und das sind sicher nicht alle", weiß P. Kos, der sich in dieser Situation von den öffentlichen Stellen ein wenig alleingelassen fühlt.

Die öffentlichen Stellen nehmen zwar das Problem wahr, die angekündigten Maßnahmen werden aber -wenn überhaupt - erst in Zukunft greifen. Die von der Stadt vorgesehenen Posten von zwei Streetworkern, wie sie vor allem von Soziologen gefordert werden, sind bis heute unbesetzt, da sich niemand für diese Aufgabe meldet. Und die Landesrätin für Soziales, Karin Achatz, hat angesichts der sich zuspitzenden Situation für 1997 die Errichtung eines Kriseninterventionszentrums in Aussicht gestellt, für Langzeitfälle, wie es die „echten Straßenkinder" sind, wird es aber in diesen Zentren die von Psychologen geforderte Intensivbetreuung schwer zu erziehender Kinder und Jugendlicher auch nicht geben.

„Alle Initiativen müßten darauf hinauslaufen, die Defizite der Jugendlichen bereits in einem sehr frühen Stadium aufzufangen", sagt P. Kos und verweist auf zunehmende Bereitschaft zur Gewaltanwendung bereits im Kindergarten. „Das sollte uns alle sehr hellhörig machen."

Der Autor ist

Pressereferent der Diözese Gurk-Klagenfurl

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