Ohne neutrale DistanzTitel
Die Papstbiografie des Vatikanexperten Luigi Accattoli liegt nun auch auf deutsch vor.
Die Papstbiografie des Vatikanexperten Luigi Accattoli liegt nun auch auf deutsch vor.
Johannes Paul II. scheidet die Geister. Aber auch die Lektüre der jüngsten Papstbiografie zeigt einmal mehr, dass es unmöglich ist, die kirchen- und weltpolitische Bedeutung dieses Papstes zu ignorieren oder die Person, die dieses Amt trägt, in ihrer menschlichen Größe nicht wahrzunehmen.
Luigi Accattoli, bekannter italienischer Journalist und Vatikanexperte, der Johannes Paul II. auf vielen Reisen begleiten konnte, malt in dem nun auf deutsch erschienen Lebensbild ein Bild von ihm, das einem diesen Mann verständlicher macht, ohne dabei devote Hofberichterstattung zu betreiben.
Dank des phänomenalen Hintergrundwissens Accattolis wird vor allem die menschliche Seite des Papstes glaubwürdig sichtbar: der Menschen- und Frauenfreund, der Missionar und Visionär, der Mann, der von einer Leidenschaft für seinen Glauben getragen ist, die ihresgleichen sucht. Karol, der mit 20 Jahren nahezu seine ganze Familie verloren hat und nicht verzweifelt; Karol, der unter großen Gefahren in Polen Theologie studiert; Karol, der vor der amerikanischen Freiheitsstatue vor den Gefahren der Freiheit warnt: in diesem Papst wird sichtbar, dass Christ sein eine Leidenschaft sein kann, dass Christ sein aber auch bedeutet, ein Zeichen des Widerstandes zu sein.
Eine der Leistungen Accattolis besteht darin, den Menschen Wojtyla vor seinem Hintergrund, insbesondere der Kurie und der Geschichte des Papsttums, sichtbar zu machen. Für österreichische Augen vielleicht nur schwer nachzuvollziehen - aber so gesehen erscheint Johannes Paul, der zeit seines Amtes mit der päpstlichen Etikette kämpft, nahezu revolutionär: Der Papst antwortet spontan auf Journalistenfragen! Der Papst zeigt sich beim Schifahren! Der Papst küsst Frauen! Undenkbar für seine Vorgänger - unverzeihbar für die vatikanische Kurie, der dieses Verhalten bis heute ein Dorn im Auge ist.
Accattoli zeigt auch das politische Gewicht des Papstamtes: ohne dieses Amt wären die kommunistischen Regimes in Osteuropa nicht oder zumindest nicht so rasch zugrunde gegangen - und Johannes Paul ist heute mittlerweile nahezu die einzige weltpolitische Instanz, die es wagt, die Eroberung der Welt durch das kapitalistische Wirtschaftssystem in Frage zu stellen.
Die Stärke der Biografie ist zugleich auch ihre Schwäche: so wie Johannes Paul II. hier beschrieben wird, müsste es schon längst katholische Priesterinnen geben. Die verständnisvolle Nähe Accattolis zum Papst ist zwar nicht unkritisch, aber das empathische Verständnis für die päpstlichen Schwächen machen es - ihm, aber auch dem Leser - schwer bis unmöglich, in der Sache die nötige Kritik zu üben.
Diesbezügliche Seiten Johannes Pauls II. werden zwar beschrieben, sein Unwille gegenüber Systemreformen, seine unpolitische Affinität zu Bewegungen wie dem Neokatechumenat und dem Opus Dei bleiben aber im Vergleich zu den anderen Leistungen Wojtylas seltsam unreflektiert.
Aber wenn Johannes Paul II. tatsächlich eine so starke Persönlichkeit ist, wie sie hier beschrieben ist, ist es wohl auch für den professionellsten Journalisten schwierig, neutrale Distanz zu wahren. Und darin spiegelt sich die christliche Passion Karol Wojtylas ebenso wider wie das Anliegen Jesu, das immer schon die Geister scheiden konnte.
Johannes Paul II. Die Biografie.
Von Luigi Accattoli, aus dem Italienischen von Helmut Machowetz. Verlag Styria, Graz 2000. 300 Seiten, geb., öS 291,-/e 21,39
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