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Die Ambivalenz des Konservativen bei Johannes Paul II.

Da war sie wieder: die kraftvolle, unbeugsame Gestalt, eindringlich in Wort und Tat, von großer Ernsthaftigkeit, mit gelegentlich aufblitzendem Humor. So hatten wir Karol Woytila als Papst Johannes Paul II. kennengelernt. Jetzt, anlässlich seines Todes, riefen uns die Medien die Bilder aus den Anfangsjahren seines Pontifikats wieder in Erinnerung. Seit gut einem Jahrzehnt überlagert von den Sequenzen des alten, siechen, leidenden Gottesmannes, waren sie uns kaum noch präsent. Nun aber, im Rückblick, erschlossen sich von ihnen her auch die letzten Jahre dieses Papstes: Da wurde keiner vorgeführt, instrumentalisiert - mögen auch einschlägige Überlegungen vatikanischer Machtstrategen mit im Spiel gewesen sein; letztlich ging da einer seinen Weg im unerschütterlichen Bewusstsein seiner göttlichen Mission zu Ende.

Eben in diesem Bewusstsein aber wurzelt das Faszinierende dieser Person ebenso wie das Schwierige, Problematische, für viele Befremdliche. Bleiben wird: der Papst an der Seite der Elenden und Entrechteten dieser Welt. Bleiben werden seine Zusammenkünfte mit Repräsentanten anderer Konfessionen und Religionen; unauslöschlich eingeprägt hat sich die gebeugte Gestalt in Weiß an der Klagemauer in Jerusalem, die schließlich einen Gebetszettel zwischen die Jahrtausende alten Quader schiebt - ein Bild von ungeheurer Wucht, vielleicht das stärkste dieses Pontifikats überhaupt. Bleiben wird auch das Zusammentreffen mit seinem potenziellen Mörder Ali Agca in dessen spartanischer Zelle: Kann man die Radikalität christlicher Vergebung stärker veranschaulichen? Und natürlich war das Bündnis des Bischofs von Rom mit dem schnauzbärtigen Elektriker aus Danzig, Lech Walesa, von historischer Sprengkraft.

In all dem war Johannes Paul II. revolutionär - im Sinne einer Hinwendung zum Eigentlichen, zu den Wurzeln seiner geistlichen Tradition, im Sinne des Bewahrens des Humanums.

Vielleicht wird man dem verstorbenen Papst ja mit diesem Wort vom "Bewahren" überhaupt am ehesten gerecht. Bewahren wollte er den Menschen vor jedweder totalitären Vereinnahmung, vor reduktionistischen Engführungen aller Art - und zuletzt vor sich selbst. Diesem Zwecke sollte wohl auch das Bewahren von Strukturen und Institutionen dienen. Seine tiefste Überzeugung dürfte gewesen sein, dass ein Weniger an Liberalisierung, Deregulierung, Flexibilisierung das Menschengerechtere ist - in der Arbeitswelt ebenso wie im Bereich von Partnerschaft und Sexualität oder in der Biotechnologie.

Diese Überzeugung auf dem Altar des Zeitgeistes zu opfern, wird der Kirche auch in Zukunft nicht möglich sein, es sei denn um den Preis ihrer Identität. Sie wird festhalten müssen am Wert verlässlicher, dauerhafter Beziehungen; an der Mahnung zu besonderer Behutsamkeit im Umgang mit Anfang und Ende menschlichen Lebens; am Prinzip, dass die Arbeit für den Menschen, nicht der Mensch für die Arbeit da ist, und an der Sinnhaftigkeit von Sonn- und Feiertagen.

Aber es ist nicht nur die Arbeit, es ist auch das Gesetz, es sind auch die Prinzipien für den Menschen da, nicht umgekehrt. Über dem Festhalten an Idealen, dem Bewahren von Traditionen darf der Einzelne nicht vergessen werden. Dieser Aspekt ist in der Kirche unter Johannes Paul II. vielfach zu kurz gekommen. Meist wurde das mit seiner Biographie, seiner Herkunft aus dem Osten, seinen Erfahrungen mit zwei Diktaturen erklärt. Das klingt plausibel. Man wird, daran anknüpfend, sagen können, dass diesem Papst im tiefsten Inneren generell die liberale Demokratie fremd geblieben ist, dass ihm ihre - zweifellos vorhandenen - Schattenseiten einen Zugang zu dieser politischen Form verstellt haben.

Es wird von entscheidender Bedeutung - jedenfalls für die Kirche in Europa - sein, wie sich der Nachfolger Karol Wojtylas auf dem Stuhl Petri in dieser Frage positioniert; und ob es ihm gelingt, das Verhältnis von Standpunktfestigkeit und Barmherzigkeit, von Glaubenstreue und Menschenfreundlichkeit neu zu bestimmen. Das Erbe Johannes Pauls II. ist im doppelten Sinne ein gewaltiges.

rudolf.mitloehner@furche.at

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