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Die Machthaber der Türkei initiierten den ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts.

Der Genozid am armenischen Volk bildete den Auftakt zu den Untaten des 20. Jahrhunderts. Die türkische Regierung versucht bis heute, jede Erörterung dieses Massenmordes zu unterbinden. Wie schwer es auch den Nachkommen der Opfer fiel, die eigene Geschichte zur Kenntnis zu nehmen, zeigt der Amerikaner Peter Balakian in seinem Roman "Die Hunde vom Ararat". Peter ist ein amerikanischer Junge, liebt Baseball und Football und wächst in den sechziger Jahren gut behütet in New Jersey auf. Mittelpunkt der Familie ist die Großmutter, die vielleicht etwas exzentrisch ist, doch das macht nicht den Unterschied zu den Nachbarn aus. Peter und sie lieben die "Yankees", die mehr waren als eine Mannschaft, "sie waren eine Stimmung, ein Image, ein Gefühl".

Der Unterschied liegt im Essen. Denn während die Nachbarn Fastfood in Minuten zubereiten und ebenso schnell verschlingen, ist im Hause Balakian Esskultur gefragt: Zusammensitzen am Tisch, Familienkultur mit Tanten und Onkeln, die am Wochenende regelmäßig zu Gast sind. Am Sonntag waren die Balakians eben anders als die anderen, dann war das "alte Land" plötzlich wieder nah, man konnte es zumindest schmecken. Die Balakians sind Amerikaner, doch bei Tisch Armenier. Am meisten verbindet sie noch mit den Juden, eine ähnliche Einstellung zur Familie, die Gewohnheit, sich in der Küche aufzuhalten, ein bedächtigeres Zeitgefühl.

Auf diese feinen Unterschiede macht sich Peter seinen eigenen Reim. Er will wissen, was seine Familie ist, behauptet von sich, Jude zu sein, da doch alle Freunde Juden sind und er alle Feiertage kenne. Doch Peter ist kein Jude und wird erst langsam ein Armenier. Die Großmutter raucht gelegentlich Pfeife, erzählt gern Geschichten mit Bruchstücken einer fremden Sprache und redet über ihre Träume. Die Großmutter ist Peters Brücke nach Armenien.

Der Weg ist lang von den dunklen Ahnungen bis zu den konkreten Fragen nach der Geschichte der Großmutter, und warum über Armenien nicht mehr geredet werde. Sie macht einen Großteil des Buches aus und es ist ein überaus spannender Annäherungsprozess, der auch bewusst macht, dass dieser Genozid bis heute nicht jenen Platz in der Erinnerung gefunden hat, der ihm zukommt. Schon Hitler hat beim Angriff auf Polen seinen Generälen die armenische Tragödie als Beispiel vor Augen geführt: "Wer redet heute noch über die Auslöschung der Armenier?"

Ein Massaker als Geburtsstunde eines Landes. "Die Türkei den Türken" war der Slogan der Jungtürkischen Bewegung, der Mord konstituierendes Element des Nationalstaates. Die Welt schaute zu, die Großmächte vergaßen ihre Versprechungen und setzten keine Taten. Geschichte wiederholt sich offenbar doch. Auch bei der Vernichtung der Juden sahen die Westmächte zu, sprachen von Quoten und erschwerten die Einreise.

Die mühsame Suche nach den Leichen im türkischen Keller ist nicht nur ein persönliches Anliegen der Balakians. Der Einfluss der Türkei auf die Weltöffentlichkeit währte lange, so konnte sie 1935 die Verfilmung von Franz Werfels Roman "Die vierzig Tage des Musa Dagh" durch den amerikanischen Filmkonzern MGM verhindern. Ihr Bannspruch reichte noch in den neunziger Jahren bis in die Universität Princeton, wo mit der Errichtung von Lehrstühlen für türkische Studien "ein Kreis der Obszönität von acht Jahrzehnten der Leugnung durch die Türkei" geschlossen wurde.

Balakian, der mit Gedichtbänden und als Literaturwissenschaftler an der Colgate University bekannt wurde, interpretiert die Träume und Erzählungen seiner Großmutter als "Teile einer verstümmelten Erzählung", ihre "Erinnerungsfetzen und verschlüsselten Geschichten waren Spitzen von Eiszapfen aus dem gefrorenen Meer ihres Inneren". Erzählen war für die alte Frau die einzige Möglichkeit, mit den Grausamkeiten fertig zu werden, mit den Verstümmelungen, den Fußmärschen durch die Wüste, den Demütigungen.

Das Buch wirft ein Licht auf das Amerika der fünfziger und sechziger Jahre und auf die Geschichte Armeniens, der ältesten christlichen Nation des Nahen Ostens. Es brauchte lange, bis das durch Bündnisinteressen motivierte Vertuschen ein Ende hatte. Noch 1984 verhinderte die Türkei mit der Drohung, die US-Militärbasen zu schließen, eine Völkermord-Resolution des Repräsentantenhauses. Balakian: "Was wäre geschehen, wenn sich ein solches Szenario gegen eine Gedenkvorlage für den Holocaust abgespielt hätte?"

Die Hunde vom Ararat. Eine armenische Kindheit in Amerika. Von Peter Balakian. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2001. 374 Seiten, geb., e 23,91/öS 329,-

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