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Der Norden am Kreuzweg

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In der zweiten Septemberhälfte werden in zwei skandinavischen Ländern, in Schweden und Dänemark, die Wahlen zu den gesetzgebenden Körperschaften stattfin- äen; in beiden Ländern ist der Ausgang sehr ungewiß und eine Änderung des Regierungskurses zumin- iest denkbar. In Finnland geht lie Episode der unpolitischen Beamtenregierung unaufhaltsam ihrem Ende entgegen; auch hier wird es in ien nächsten Monaten zu schwerwiegenden Entscheidungen kommen. Norwegen wiederum hat Schwierigkeiten in seinem Königshaus: Damit steht der gesamte Norden vor Entscheidungen, die seinen politischen Weg in den nächsten Jahren bestimmen werden!

Schweden wird am 20. September über die Zusammensetzung der Zweiten Kammer des Parlamentes sntscheiden. Von den 232 Abgeordneten sind heute 114 Sozialdemokraten, 40 Liberale, 39 Konservative, 34 Zentrumsparteiler und fünf Kommunisten. Da keines der beiden großen Lager mit den Kommunisten rechnet, ist das Verhältnis 114 zu 113 zugunsten der Arbeiterpartei. Bei den gemeinsamen Abstimmungen der beiden Kammern stehea 192 Vertreter der Arbeiterpartei 191 Vertretern der Opposition gegenüber. Es würde also eine sehr geringe Verschiebung der Mandatszahlen zugunsten der bürgerlichen Opposition genügen, um die Arbeiterpartei der Majorität zu berauben. In großer Gefahr befinden sich zwei Mandate der Regierungspartei auf Gotland und in Südschweden; anderseits bestehen Gewinnchancen in anderen Landesteilen. Niemand vermag also vorauszusagen, ob Erlander nach dem 20. September noch über eine regierungsfähige Mehrheit verfügen wird. Als Beispiel für die labile Situation kann genannt werden, daß im Landkreis Stockholm den Kommunisten ihr 6. Mandat nur mit einer Mehrheit von 25 Stimmen abgenommen wurde.

Von der wirtschaftlichen Situation her droht der Arbeiterpartei keine große Gefahr. Bei jährlichen Lohnerhöhungen von 7—8 Prozent konnte in den vergangenen Jahren das Realeinkommen um 3,5 Prozent jährlich erhöht werden. Die allgemeine Dienstpension wurde nach harten Kämpfen eingeführt, der Vierwochenurlaub ist ebenfalls Wirklichkeit geworden und im Schul- und Bildungswesen ist eine großzügige Aufrüstung erfolgt. Anderseits muß auch die Regierungspartei zugeben, daß die Rufe nach mehr Wohnungen, mehr Lehrern, besserer Krankenpflege und stärkerer Hilfe für kinderreiche Familien heute lauter sind als vor vier Jahren. Es gibt immer noch starke Schlagschatten im Wohlfahrtsstaat, und es ist eine Frage der Taktik, ob die Opposition das Bewußtsein dieser Mängel zu einem Wahlerfolg wird ausmünzen können oder nicht. Ein großes Fragezeichen ist auch die neugegründete Christlich-demokratische Partei, die in einigen Wahlkreisen allen Parteien Stimmen abnehmen dürfte, wenn sie auch keine großen Mandatschancen besitzt.

An negativen Erscheinungen werden sich vor allem die ununterbrochenen Preissteigerungen und die zahlreichen Gebührenerhöhungen bei Bahn, Post und Telephon bemerkbar machen. Die Ärztehonorare wurden erhöht und im Hintergrund droht eine Erhöhung der Umsatzsteuer von 6,4 auf 13 Prozent, die besonders die Träger der kleinen Einkommen hart treffen müßte. Bei der Beurteilung dieser Fakten sollte man jedoch nie vergessen, daß dem Mittel-Svensson Schwedens das Postulat, dem Kaiser zu geben, was des Kaisers ist, dermaßen in Fleisch und Blut übergegangen ist, daß höhere Gebühren fordernde Finanzminister anderer Länder vor Neid grün und gelb werden könnten. Der Schwede gibt im allgemeinen seiner Regierung, was die Regierung für notwendig erachtet!

Und in diesen Wahlkampf ging die Opposition ebenso gesplittert wie in früheren Jahren. Eines ihrer Hauptziele ist heute, die ungeheuren Mittel, die sich in den Pensions- fonden anzusammeln beginnen, vor dem, Zugriff der Regierung zu bewahren, also eine Beherrschung des Geldmarktes durch die Regierungspartei zu verhindern. Für diese mögliche Gefahr zeigt der Durchschnittswähler wenig Interesse, und es ist fraglich, ob man von diesem Ansatzpunkt her die Arbeiterpartei aus den Sattel heben kann!

Dänemark: Zwei Tage später

Die parlamentarische Grundlage der Arbeiterpartei in Dänemark ist tatsächlich noch etwas schwächer als die der Bruderpartei in Schweden. Von den 179 Abgeordneten des Folketing sind heute 76 Sozialdemokraten, die zusammen mit den eil Sozial-Liberalen die Regierung Krag unterstützen. Die drei bürgerlichen Oppositionsparteien haben ebenfalls 76 Mandate. Zwischen diesen großen Gruppen stehen die Volkssozialisten Axel Larsens, (Vgl. „Die Furche“ Nr. 18/1964) die in den meisten Fällen, doch durchaus nicht immer, mit den Sozialdemokraten stimmen. Stellen sie sich gegen die Regierung, dann kann Krag gerade nur durch die Stimme jenes Vertreters Grönlands gerettet werden, der sich gemeinhin neutral verhält, in Stunden der Not aber die Regierung retten muß. Das ist für die Arbeiterpartei in äußerst unbefriedigendes Verhältnis, und die Opposition bringt es auch nicht einen Schritt weiter. Eine Machtverschiebung nach irgendeiner Seite würde deshalb klarere Verhältnisse schaffen. Die Meinungsforscher glauben verbesserte Chancen für die Sozialliberalen Voraussagen zu können, die Arbeiterpartei hält etwa beim Stand des November 1960, für alle anderen Parteien werden Einbußen vorausgesagt. Kommt es auch zu Mandatsverlusten für die Sozialliberalen, dann bleibt nur die Bildung einer sozialdemokratischen Minderheitsregierung übrig, unter passiver Unterstützung der Volkssozialisten, und das ist eine Möglichkeit, die Krag fast mehr fürchtet als einen Sieg der bürgerlichen Oppposition.

Um die entscheidenden zwei oder drei Mandate zu gewinnen, verspricht die Arbeiterpartei nun die Einführung einer allgemeinen Dienstpension nach schwedischem Muster, Entschädigungen für jene Beamten, die bereits eine Pension besitzen, eine Verstärkung des Wohnungsbaues und eine erhöhte Familienhilfe. Die Lagerung von Atombomben lehnt man energischer ab als je zuvor, und für einen Alleingang zur EWG gibt man vor, nichts übrig zu haben. Das ist ein sehr dänisches und keineswegs unpopuläres Programm, von dem man erwarten könnte, daß es den Ansturm der Opposition abzuwehren hilft, zudem auch in diesem Lager die zündenden Argumente fehlen.

Dänemarks Wirtschaft ist heute von einem Defizit im Außenhandel belastet, das zur Jahresmitte bereits über zwei Milliarden Kronen betragen hat Allein im Juni betrug das Defizit 436 Mkr., im April führte man sogar um 618 Mkr. mehr ein als man exportieren konnte, was eine unmittelbare Diskonterhöhung um ein Prozent zur Folge hatte. Im

1. Halbjahr 1963 hatte man einen

Unterschuß im Warenaustausch im Werte von 859 Mkr., in der entsprechenden Zeit 1964 waren es

2166 Mkr.! Kein Land von der Größe Dänemarks kann eine solche Belastung auf die Dau .r ertragen.

Auf diesem und auch auf anderen Gebieten gibt es Anzeichen dafür, daß Dänemark auf dem Weg in ernste Schwierigkeiten ist, die auch durch die Aufnahme von Ausländsanleihen nicht mehr beseitigt werden können. Wie die kommende Wahl auch ausgehen möge, jede kommende Regierung wird den Dänen in absehbarer Zeit ein hartes Krisenprogramm vorlegen müssen, mit Konsumtionsbegrenzungen und einer vernünftigen Einkommensregelung, die allein es möglich machen, das immer schnellere Abgleiten in die Defizitwirtschaft zu verhindern. Die Wahlen zum Folketing am 22. September können der Auftakt zu einer Politik der Mäßigung und der Selbstbesinnung sein.

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