"Die Werte bestimmen die Grenzen"

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EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn zur "soft power" der Union, die Ante Gotovina ins Gefängnis gebracht und Orhan Pamuk aus diesem herausgeholt hat.

Die Furche: Herr Kommissar, Sie sind in der eu-Kommission für die weiteren Erweiterungsschritte der Union zuständig - kein Job, bei dem Sie zurzeit mit sehr viel Sympathie und Zustimmung rechnen können.

Olli Rehn: Mir ist die Erweiterungsmüdigkeit in vielen Ländern der Europäischen Union, und auch in Österreich, durchaus bewusst. Aber vergessen wir nicht, dass die eu-Erweiterungspolitik unser bestes Instrument ist, um Frieden, Stabilität und Freiheit in ganz Europa durchzusetzen. Deswegen sind wir mit einer sehr schwierigen Dynamik konfrontiert: Auf der einen Seite sollen wir dieses strategische Werkzeug für Stabilität, Frieden und Demokratie auch in Zukunft in vernünftigen Dossierungen benützen; auf der anderen Seite müssen wir aber natürlich auch die Sorgen unserer Bürger ernst nehmen.

Die Furche: Ist das beim Thema Erweiterung in der Vergangenheit zuwenig geschehen; und war das Verfassungs-Nein in Frankreich und den Niederlanden die Antwort darauf?

Rehn: Es ist nicht fair, den neuen Mitgliedsstaaten jetzt die Schuld am Nein in Frankreich und in den Niederlanden zu geben. Für mich steht fest: Wir sind sehr gut in der Erweiterungspolitik, aber wir sind schlecht in der Kommunikation der Vorteile dieser Politik. Ich will nicht sagen, dass wir unsere Bürger vom Nutzen der Erweiterung überzeugen müssen, aber wir sollen die Vorteile besser erklären und zeigen, dass wir einen verantwortungsvollen Weg beschreiten.

Die Furche: Worin liegt der strategische und friedenspolitische Nutzen der Erweiterung, auf den Sie so viel Wert legen?

Rehn: Ich nenne nur zwei Namen um diese "soft power" der eu zu illustrieren: Der kroatische General Ante Gotovina, der mittlerweile hinter den Gittern des Jugoslawien-Tribunals in Den Haag sitzt, während der türkische Schriftsteller Orhan Pamuk ein freier Mann ist und in Istanbul seine Meinung äußern kann. Ohne die eu, bin ich sicher, wäre Gotovina nicht in Den Haag, und es ist sehr wahrscheinlich, dass die türkische Justiz gegen Pamuk entschieden hätte.

Die Furche: Für andere ist der Fall Pamuk genau aus diesem Grund ein Argument, der Türkei die Europareife abzusprechen.

Rehn: Die Türkei war und ist eine heiße Kartoffel. Aber in unserem eigenen Interesse brauchen wir eine stabile, demokratische und wirtschaftlich prosperierende Türkei. Die Türkei liegt an einem geopolitisch, geowirtschaftlich und geokulturell sehr kritischen Kreuzungspunkt in Südosteuropa. Nach dem Gas-Streit zwischen der Ukraine und Russland und im Besonderen nach dem Karikaturenstreit wird das niemand mehr bestreiten. Die Türkei hat in beiden Konflikten eine sehr moderate und konstruktive Rolle eingenommen. Ich war sehr froh, als der türkische Außenminister Abdullah Gül beim letzten Außenministertreffen in Salzburg neben mir saß, sehr sensibel auf den Karikaturenstreit eingegangen ist und sich sehr engagiert für die europäischen Werte eingesetzt hat. Das hat mich in der Meinung bestärkt, dass die Türkei nach erfolgreichen Verhandlungen zu einer starken Brücke zwischen Europa und der islamischen Welt werden kann.

Die Furche: Bis wann soll diese Brücke gebaut sein? Sicher auch um die Türkeibeitritts-Skeptiker zu beruhigen, wird immer mit einer Zeitperspektive bis zu 15 Jahre argumentiert.

Rehn: Die Erweiterung der eu um die Türkei ist kein Eurostar-Schnellzug, nicht einmal ein normaler Schnellzug, sondern eher ein Lokalzug; aber wichtig ist, dass der Zug in Bewegung bleibt, weil nur so genügend Impulse für die Transformation der Türkei in Richtung eines noch mehr europäischen Landes ausgehen. Die Reise ist in diesem Fall mindestens so wichtig wie das Ziel.

Die Furche: Das Europaparlament hat einen "Zwischenschritt" statt bzw. vor dem Vollbeitritt für die Balkan-Länder ins Spiel gebracht - was halten Sie davon?

Rehn: Schon Jacques Delors hat für die damaligen EFTA-Staaten einen "Dritten Weg" vorgeschlagen. Aber nach dem Mauerfall und dem Zerfall des Ostblocks hat dieser Dritte Weg nicht lange gedauert. Das ist für mich auch eine wichtige Lektion für die Balkan-Staaten: Auf dem Balkan kann die eu wirklich einen Unterschied machen. Die Beitritts-Perspektive ist für diese Länder der Antrieb, sich in Richtung funktionierender Demokratien zu bewegen.

Die Furche: Sie lehnen also das Zwischenschritt-Modell ab.

Rehn: Ich verstehe diese multilateralen Ansätze in der Theorie, aber wir sollten aufpassen, dass wir nicht mit solchen Ansagen, mit solchem ständigen Hinterfragen der Aufnahmekriterien die immer noch sehr fragilen Balkan-Staaten zu sehr verunsichern. Die eu-Perspektive ist der Klebstoff, der den Balkan auf der Spur zu einer friedlichen und demokratischen Veränderung hält.

Die Furche: Das eu-Parlament hat die Kommission auch aufgefordert, bis Ende des Jahres die geographischen Grenzen der EU zu bestimmen - sitzen Sie schon grübelnd vor dem Atlas?

Rehn: Bei diesen Grenzen dürfen wir uns nicht in Stein gehauene, unwiderrufliche Markierungen vorstellen. Wenn es bei den Grenzen der eu geblieben wäre, die Jacques Delors 1985 gezogen hat, wären Sie (Österreicher) und ich (ein Finne) nicht dabei. Delors war von der Union der zwölf überzeugt und hat deswegen auch den "Dritten Weg" für die anderen Staaten propagiert. Aber mittlerweile hat sich die Auffassung durchgesetzt, dass unsere Werte die Grenzen Europas mehr bestimmen als die Geographie. Sicher, die Geographie schafft den Rahmen, aber die Werte definieren die Union als Gemeinschaft. Deswegen müssen wir zuerst darauf schauen, ob potenzielle Kandidaten unsere Werte respektieren und, genau so wichtig, ob wir selber in der Lage sind, neue Mitglieder aufzunehmen.

Das Gespräch führte eine

österreichische Journalistengruppe; Redaktion: Wolfgang Machreich.

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