An der Schwelle Europas

Werbung
Werbung
Werbung

Eine bemerkenswerte zeitliche Koinzidenz: der EU-Beitritt Kroatiens, das Aviso für Verhandlungen mit Serbien und das Verschieben der nächsten Runde mit der Türkei.

Es fügt sich, dass der EU-Beitritt Kroatiens und die Verschiebung der nächsten Beitrittsgesprächsrunde mit der Türkei auf den Herbst zeitlich fast zusammenfallen. Beide Länder galten ja aus unterschiedlichen Gründen als problematische Kandidaten. Dabei schien bei etlichen der Protagonisten des öffentlichen Diskurses Kroatien deutlich weniger gelitten zu sein als die Türkei. Die ehemalige jugoslawische Teilrepublik war als "katholisch“ und "nationalkonservativ“ punziert und passte vielen nicht recht in ihr Bild von Europa; während sich für den Beitritt der Türkei auszusprechen als Ausweis von Liberalität und Offenheit galt.

Wobei das nationalistische Gehabe Kroatiens insbesondere in der Tudjman-Ära nicht kleingeredet werden soll. Dass jener Mann, der sich große Verdienste bei der Überwindung dieser Ära und der Umwandlung der nationalistisch-rechtspopulistischen HDZ in eine "normale“ Mitte-Rechts-Partei erworben hat, Ivo Sanader, den EU-Beitritt seines Landes hinter Gittern erlebt, ist eine tragische Ironie der Geschichte.

Der perpetuierte Eiertanz EU-Türkei

Nun aber wird Kroatien, das unzweifelhaft zu Europa und damit zur EU gehört, 28. Mitglied - und das ist gut so. Und diese gute Nachricht wird dadurch noch besser, dass ebenfalls in diesen Tagen der Beginn der Beitrittsverhandlungen mit Serbien für Ende 2013, Anfang 2014 avisiert wurde. Auch Serbien gehört zu Europa - und dass die erbitterten Feinde der schrecklich-blutigen Jugoslawienkriege Anfang der neunziger Jahre in der EU vereint sein sollen, kann nicht hoch genug veranschlagt werden.

Wenig erfreulich erscheint indes die Verschiebung der Gespräche mit der Türkei, denn dies lässt sich wohl nicht anders interpretieren denn als Fortsetzung des bereits seit Jahrzehnten währenden Eiertanzes, den die Europäische Union mit der Türkei vollführt. In Wahrheit ist es ganz banal: wie in allen Bereichen wird auch hier das Problem durch Vor-sich-her-Schieben nicht kleiner, sondern größer. Die Türkei ist im Wortsinn ein europäischer Grenzfall - nicht erst wegen des jüngsten brutalen Vorgehens des Staates gegen Demonstranten, sondern an sich: aufgrund seiner geographischen Lage und seiner kulturellen Prägung.

Das Konzept der "Privilegierten Partnerschaft“ hätte genau dem Rechnung getragen - und allenfalls irgendwann auch für andere "Grenzfälle“ im Osten und Süden Anwendung finden können. Doch das galt als diskriminierend und wurde politisch dermaßen verunglimpft, dass eine Reaktivierung nur schwer vorstellbar ist. Wünschenswert wäre freilich, dass schlussendlich doch so etwas herauskommt, auch wenn es aus diplomatischen Gründen nicht so genannt wird.

Die Transformation der EU als Zerreißprobe

Grundsätzlich aber gilt auch für die Europäische Union: Je sicherer und gefestiger man im Inneren ist, desto offener kann man nach außen sein. Demzufolge ist die Union zur Zeit, da sie kaum noch weiß, wer oder was sie sein will, in denkbar schlechter Verfassung, sich zusätzliche Probleme aufzubürden. Europa war genuin ein bürgerlich-liberales Projekt auf einem christlich geprägten Wertefundament. Die derzeit zu beobachtende schleichende Transformation hin zu mehr Zentralismus und Umverteilung sowie weniger Vielfalt und Wettbewerb bedeutet eine gewaltige Zerreißprobe, wie beinahe täglich zu erleben ist. In dieser Situation drohte eine Herausforderung, wie sie die Integration der Türkei darstellte, das europäische Projekt endgültig zu sprengen.

Für die EU passt ein Bild, welches der Grazer Bischof Egon Kapellari gerne für die Kirche verwendet: ein Haus mit offenen Türen, aber auch mit Schwellen an diesen Türen, um die Geister zu prüfen und zu unterscheiden. An der Schwelle Europas wird wohl auch künftig der Platz der Türkei sein.

rudolf.mitloehner@furche.at

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung