6754536-1967_41_06.jpg
Digital In Arbeit

Hollands „christliche Radikale“

Werbung
Werbung
Werbung

Als vor kurzer Zeit der Fraktionsvorsitzende der niederländischen katholischen Volkspartei, Schmelzer, sich schjifitetellerisch an der Diskussion über die allgemeine politische Lage in den Niederlanden beteiligte, da war sein Artikel für die fortschrittliche katholische Wochenschrift ,vde nieuwe Linie“ Anlaß zu der ziemlich pessimistischen Befürchtung, daß sich jetzt, da die Herrschaft der berüchtigten Wahlurne vorüber sei, die Entwicklung zu einer Neuordnung des Parteien-

systems wohl kaum noch durchsetzen werde.

Indes mehren sich in letzter Zeit die Anzeichen dafür, daß der erwähnte Pessimismus durchaus nicht berechtigt war. In Kreisen junger Politiker wurde plötzlich eine Art

von Rebellion entfesselt, wodurch die Diskiussioni die in eine Sackgass« zu geraten drohte, wieder in Gang kommen kann. Eine neue progressiv« Partei moderner Prägung versprach die heißersehnte Klarheit, erntet« dadurch mächtigen Erfolg und betrat die politische Bühne mit fliegenden Fahnen und frischere Schwung.

Nicht so stürmisch trat die Katholische Volfcspairtei in Erscheinung, Man schrieb die schlimme wirtschaftliche Lage, die scheiternde

Haushaltspolitik und die schnell wachsende Arbeitslosigkeit auf das Konto der mißlungenen Koalition mit den Sozialisten, wechselte deshalb schnellstens Gesicht und Haltung und versprach sich Rettung von einer erneuerten Zusammenarbeit

mit den konservativen Liberalen. Der rechte Flügel der Katholischen Partei, der sich viel schneller durchsetzen konnte, als allgemein erwartet wurde, ließ es dabei nicht bewenden. Man versprach großzügig eine offene Diskussion über schon lange im Brennpunkt des allgemeinen Interesses stehende Probleme: die Zukunft der drei christlichen Parteien und die Entkonfessionaliisie-rung in der Politik, um so dem weitverbreiteten Unbehagen über das bestehende undeutliche Parteiensystem ein Ende zu setzen. So wurde einer großen Hoffnung endlich verheißungsvolle Nahrung gegeben. Es ist -an sich schon ein günstiges Zeichen, daß die Führung der Katholischen Voikspartei in Zusammenarbeit mit den beiden anderen christlichen Parteien dem Streben nach Erneuerung des Parteiiensystems entgegenkommen will.

Radikale Petition

Nicht lange, da -drang wie ein Blitz aus heiterem Himmel eine erneute Opposition an die Öffentlichkeit: eine Bittschrift einiger prominenter Politiker an die Parteiführung wurde aligemein mit Beifall begrüßt. In dieser Bittschrift, die u. a. vom ehemaligen Minister für Wohnungsbau aus dem verabschiedeten Kabinett Cals unterzeichnet war und deren Inhalt von niemand geringerem als Cals höchstpeirsönlich begeistert gelobt wurde, wird eine radikal-progressive Politik, basierend auf christlicher Anschauung, gefordert Die sich christlich-radikal heißenden Politiker 'gehen einen Schritt weiter als die „Gruppe der Achtzahn“, der drei konfessionellen Parteien: Nicht nur eine Bündelung der progressivallem eine wirkliche, tatkräftige christliche Politik sollte nunmehr in Angriff genommen werden.

Keine Spaltung!

Die Lage der Katholischen Volkspartei wurde nun ernst. Sie war tatsächlich so ernst, daß schon über eine endgültige Spaltung der Partei diskutiert und die ängstliche Vermutung geäußert wurde, dies könne unter Umständen das Ende der christlich-konservativen Regierung De Jong bedeuten.

Dazu äußerte sich der frühere Wobnungsbauminister und jetzige Schrittmacher der „Rebellion“. Von einer > Spaltung der Partei könne nicht 'die Rede sein. Es sei nur die Absicht gewesen, die Konservativen, die Ewiggestrigen, davon zu überzeugen, daß es nunmehr unumgänglich sei, die Partei zu einer radikal-progressiven Gruppierung im christlichen Sinne umzubilden. Und er betonte noch einmal, daß sich die Leute, die sich christlich nennen, den zahlreichen großen .gesellschaftlichen Problemen gegenüber viel weniger gleichgültig verhielten, als das häufig den Anschein habe. „Christen haben mehr Pflichten als Rechte, und wir wollen diese Pflichten erfüllen.“ Er nehme an, daß dies im Grunde auch die Ansicht des konservativen Flügels sei, und somit könne von einem wirklichen Bruch nicht die Rede sein.

Kein Kontakt nach links

Ein weiteres schwieriges Problem betrifft die Zusammenarbeit der christlichen mit den übrigen Parteien Schmelzer äußerte unmißveratänd-lich: Mein Kurs, der Kurs der KVP ist rechts, und es hat keinen Zweck, einen Durchbruch in Richtung der Sozialisten erzwingen zu wollen. Warum sollten sich die Radikalen ein anderes Kabinett wünschen, da doch für eine Führung der Staatsgeschäfte, wie sie Sich jetzt anbahne, weit mehr Mut, mehr Radikalität an den Tag gelegt werden müsse, als mit Sozialisten je zu verwirklichen sei.

Die ganze Schwierigkeit zeigte der „dritte Dienstag im September“, der „Prmzcbentag“, als die Königin die herkömmliche Thronrede verlas und der Finanizminiister der Volksvertretung das eindruckvollste Dokument des Jahres, die Miliiardennota vorlegte. „Wie Aschenbrödel, vom glänzenden Ball in ihr armseliges Dasein zurückfindend, so wurde der Niederländer, der morgens noch vom märchenhaften Anblick der goldenen Kutsche benommen war, schon am Feierabend beim Zeitunglesen mit einer Unmenge verteufelt schwerer Problame konfrontiert“, meldet am gleichen Abend „Tass“ an ein russisches Blatt. Die verhältnismäßig zu großen Ausgaben für die Landesverteidigung (14 Prozent des Etats), die Zähl der Arbeitslosen (90.000), die verschwindend geringe Entwicklungshilfe sind nur einige der drängendsten Probleme.

Neuordnung in Sicht

Daß die Außenpolitik in eine Sackgasse geraten und völlig erstarrt ist, nimmt kaum Wunder, wenn man bedenkt, daß die Verantwortung für diese Politik bereits fünfzehn Jahre bei ein und demselben Mann, Luns, ruht, dem lediglich diese eine Frage wichtig zu sein scheint: „Werden meine Entscheidungen dem großen Bruder Amerika gefallen?“

Nicht zuletzt auf diesem weiten Felde der internationalen Politik haben die christlich-radikalen ihre Aufgaben gesucht. Die Überzeugung, daß den Ubelständen in diesem Sektor erst einmal abgeholfen werden müsse, gab vielen jungen Menschen noch einmal die schöne Begeisterung.

Die Initiative zur Bildung der Christen-radikalen Gruppe bleibt nach wie vor wichtig, weil sie zweifellos die Verhältnisse in den traditionellen christlichen Parteien verschärfen wird, und dazu muß es unbedingt kommen, wenn eine Neuordnung des heutigen Parteien-systemes eine echte Chance bekommen soll.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung