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Im Schlepptau, nicht in Opposition

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Die Annahme, daß sich die Führer der Freiheitlichen Partei Österreichs gegenüber jenen der beiden Großparteien vor allem dadurch auszeichnen, daß sie nicht nur „rechts“ denken, sondern auch „rechts“ handeln und stehen wollen, ist heute nicht mehr aufrecht zu halten. In Österreich wehrt sich heute so gut wie jede Gruppe in einer oft erstaunlichen Weise gegen den Vorwurf, „rechts“ zu stehen. Auch die FPÖ-Führer bestätigen mit tränenerstickter Stimme das Lob „ihres“ Vizekanzlers, nicht mehr eine Rechtspartei, sondern etwas anderes zu sein. Etwas anderes. Aber was?

Für ihre Anhänger hatte und hat die FPÖ vor allem die Funktion, „dagegen“ zu sein. Wird sie doch von vielen einfach nur deswegen gewählt, weil sie die einzige Oppositionsgruppe ist, die Aussicht hat. in das Parlament zu kommen und dort Opposition zu üben.

Die Sehnsucht nach oppositioneller Haltung ist in .iedem Land und gerade jetzt in Österreich echt und legitim. Daher waren und sind die Chancen der FPÖ, wenn sie verantwortungsvolle Opposition treibt, gerade in einem so überkritisch eingestellten Volk wie dem österreichischen groß. Freilich soll die Opposition nicht nur in Österreich operieren, sondern auch für Österreich.

In einem geringer werdenden Umfang ist die FPÖ auch die Sammlung der Männer des nationalen Widerstandes der Zeit vor 1938, der „deutschen Männer und Frauen“, die sich in den von der Regierung mit freundlichem Wohlwollenversorgten nationalen „volkstreuen“ Verbänden sammeln und jetzt als Satte die Sünden der zweiten „Systemzeit“ genießen.

Irgendwie mutet sich die FPÖ zu, der letzte und einzige „Hort“ des Deutschtums in Österreich zu sein. Dabei kann die Partei einfach nicht verstehen, daß das „Deutsche“, soweit sie es zu repräsentieren sucht, in Österreich mit dem Odium der nationalsozialistischen Greuel und mit allem, was sich vor und nach 1938 ereignet hat, belastet ist. Man versteht einfach nicht, daß es in Österreich so etwas wie eine „Deutschfeindlichkeit“ nur in den Köpfen der Nationalen gibt, die einen Fluchtpunkt für ihre an sich ziellose und substanzlose liberale Gesinnung brauchen, einen Aufhänger für ein Programm, das in seinem Kern nur eine Sammlung romantischer Formeln ist. Wenn in Österreich eine „Deutschfeindlichkeit“ herrschte, dann lediglich bei jenen, die ihre terroristischen und und antiösterreichischen Handlungen mit der Etikette „deutsch“ versehen hatten. Gerade durch ihre merkwürdige und systemwidrige Europaschwärmerei rechtfertigen die Freiheitlichen, wenn sie es mit Europa ernst meinen, die Idee eines übernationalen Reiches, wie die alte Donaumonarchie eines gewesen war.

Ein nicht unbeträchtliches Reservoir der Anhänger der FPÖ sind jene, die erst nach 1946 im Rahmen der generalisierenden Entnazifizierung, die eigentlich auch eine Nazifizierung war, als Nationalsozialisten deklariert wurden, obwohl sie oft nur aus menschlich durchaus verständlichen Gründen einen Beitritt zur NSDAP vollzogen oder nur versucht hatten, wie nicht wenige heute sehr hochgestellte Leute, denen man dies aber nicht verübelt hat. Auf diese Weise entstand eine Großgruppe des Widerspruches gegen die von den Besatzungsmächten erzwungene und von Übereifrigen geförderte schematische Aburteilung lässiger politischer Sünden, die man interessanterweise den kleinen Leuten nicht verzeihen wollte, während man große Sünder sogar in hohe Ränge hob.

Jede Partei lebt also auch von den Sünden der anderen Parteien. Insoweit gibt es eine Art von politischer Interdependenz, von gegenseitiger Abhängigkeit. Keine parteipolitische Maßnahme ist ohne Wirkung auf eine andere Partei. Die von der ÖVP nach 1945 geflissentlich übersehenen Nationalkonservativen, die alles eher als Nationalsozialisten gewesen waren, wurden schließlich von der FPÖ mitbetreut, die nationalen Wandervögel etwa, die vielen Angehörigen einer heimatlosen Rechten, die auch im katholischen Raum ihre Vertreter hatte und hat. Da diese nationalen Gruppen jedoch keine ökonomische Integration darstellen, also, weil kein Interessentenbund, im Organisationsgefüge der kommerzialisierten ÖVP keinen Platz hatten, fanden sie schließlich entsprechend einem politischen Gravitationsgesetz zur FPÖ, von der sie sich nun freilich jetzt verraten fühlen.

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