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Süleyman „der Gerechte”

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Die jedes Mal mit großem Gepränge abgehaltenen Feiern zum „Republdkfest” am 29. Oktober Ständen heuer im Zeichen des Wahl- triumphes der Gerechtigkeitspartei. Einen Tag vorher hatte die neue Regierung Demirel, der nur Mitglieder dieser Partei angehören, ihr Amt angetreten. Am 11. November, einen Tag nach dem feierlichen Gedenken an Atatürks Todestag (10. November 1938), wurde der Regierung mit 252 gegen 172 Stimmen bei 12 Stimmenthaltungen im Parlament das Vertrauen ausgesprochen, ein für türkische Verhältnisse geradezu sensationelles Ergebnis, das ausführlich kommentiert wurde.

Politische Überraschung

Es mag verfrüht erscheinen, nach etwas mehr als einem Monat über die Tätigkeit einer Regierung Bilanz zu ziehen, aber bereits in dieser relativ kurzen Zeitspanne haben sich bemerkenswerte innenpolitische Aspekte ergeben. Schon über die Auswahl der Kabinettsmitglieder machte sich in der Öffentlichkeit eine deutliche Enttäuschung bemerkbar. Der Großteil der neu ernannten Midister hatte noch nie ein Staatsamt bekleidet, ja Demirel selbst besitzt, streng genommen, nur eine achtmonatige Erfahrung in der Tagespolitik: als Vizeministerpräsident der Übergangsregierung Ürgüplü.

Die größte Überraschung bei der Regierungsbildung aber war die Ausbootung Saadettin Bilgięs, dessen Ernennung zum Vizeministerpräsidenten als sicher galt. Bilgię war Demirels Rivale im Kampf um die Führung der Gerechtigkeitspartei und wurde bis zum Parteikongreß im Frühjahr 1964 als präsumtiver Nachfolger des verstorbenen Gründers der AP, des Exgenerals Gümüspala, angesehen. Der Kongreß entschied sich jedoch mit knapper Mehrheit für Demirel als Vertreter des fortschrittlichen Flügels, während Bilgię als Exponent der konservativen und religiös ausgerichteten Strömungen innerhalb der Gerechtigkeitspartei gilt. Die damals drohende Spaltung der Partei konnte nur durch Demirels gemäßigte und kompromißbereite Haltung verhindert werden. Als Mann des Ausgleichs und der Versöhnung war er auch in den Wahl- kamüf eezoeen. aus dem er als strahlender Sieger hervorging. Die mit verdächtiger Eile ausgesprochene Ablehnung seines einstigen innerparteilichen Gegners läßt darauf schließen, daß Demirel den Weg der Mäßigung und des Arrangements doch nicht in dem Maß beschredten kann, wie er es vielleicht vor hatte bzw. in Wahlreden versprach. Demirel ist eifrig bemüht, seine Position zu festigen und auszubauen, da er im Parlament auf die Geschlossenheit und Einigkeit seiner Fraktion angewiesen ist. Offenbar versucht er jetzt durch eine straffere Führung der Partei die Front der Traditionalisten, die immerhin rund ein Drittel der Gerechtigkeitsparteiler umfaßt, einzuschüchtern und mundtot zu machen. Noch wichtiger aber dürfte es sein, das Prestige Demirels als Regierungschef in der Armee zu verankern, die ja den Ideen der Gerechtigkeitspartei bisher skeptisch gegenüberstand und der jeder härtere Kurs als „Mendere- sismus” suspekt sein muß. Gewiegte Kenner der türkischen Innenpolitik erklären offen, daß die Zukunft Demirels, seiner Partei und der türkischen Neutralität davon abhängen werden, inwieweit es dem jungen Ministerpräsidenten gelingen wird, die Gunst der Militärs zu errineen.

Nach wie vor Zypern

Die Außenpolitik schließlich bildete diesmal keinen Schwerpunkt in Regierungserklärung und Parlamentsdebatte: Bündnistreue zum Westen, gutnachbarliche Beziehungen zur Sowjetunion liegen durchaus auf der Linie Inönüs und Ürgüplüs. Die Betonung der Freundschaft zu den arabischen Ländern ist allerdings ein neuer Akzent, wobei der religiöse Faktor eine gewisse Rolle spielt. Hauptanliegen der türkischen Außenpolitik ist nach wie vor das leidige Zypernproblem, ohne daß es unter Demirel in dieser Angelegenheit zu einer neuen Dynamik gekommen wäre.

Alles in allem ist das Programm der neuen Regierung eine gute Mischung aus ehrlich gemeinten Reformplänen und pragmatischem Wunschdenken mit einem gehörigen Schuß Demagogie. Daß unter Süleyman Demirel wirklich alles besser werden wird, wie die Bauern Anatoliens nach dem Abgang Ismet Inönü’s einander zuraunten: „Ismet gitti, kismet geidi”, „Ismet ist gegangen, das Glück ist gekommen”, muß der von ihnen solcherart mit Vorschußlorbeeren bedachte „Süleyman der Gerechte” erst beweisen.

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