6706568-1964_02_09.jpg
Digital In Arbeit

Wahlen im Pacific

Werbung
Werbung
Werbung

Zwischen Austria und Australia gibt es mehr als den Gleichklang, der in Asien und Afrika gelegentlich Verwechslungen verursacht. Es gibt auch andere Ähnlichkeiten. Auch in Australien gibt es zwei große Parteien, mit zwei Splitterparteien daneben. Die „bürgerliche“ Partei ist allerdings aus zwei Gruppen, den Liberalen und der Landpartei, zusammengesetzt, aber es sind Parteien mit denselben Grundsätzen, die sich nur in Nebensächlichkeiten unterscheiden. Keine braucht der anderen Prinzipien opfern, seit einem halben Jahrhundert marschieren und schlagen sie gemeinsam, teilen Sieg und Niederlage.

Der Gegenspieler ist die Arbeiterpartei (Australian Labour Party). Sie ist ebensowenig die Partei der Arbeiter wie die Demokratische Partei in USA. Sie vertritt wohl das, was sie zum Interesse der Arbeiter ernannt hat, ist von den Gewerkschaften so abhängig wie in England, aber in manchen Betrieben stimmen bis zu 60 Prozent der Arbeiter gegen sie. Sie verdankt ihre Stärke nur den Anhängern und Mitläufern aus dem Bürgertum, ihre Schwäche den Kommunisten und Fast-Kommunisten, die sJchJgLsie einschleichen,. ,

Neben diesen zwei großen Parteien' gibt es noch die Kommunisten üncT die „Demokratische Arbeiterpartei“ (Democratic Labour Party), eine Arbeiterpartei, die bis vor kurzem, zur Zeit des verstorbenen Erzbischofs Mannix von Melbourne, wenigstens an ihrem Hauptsitz im Staate Victoria als der Exponent der katholischen Kreise galt. Sein Nachfolger hat sich politisch neutral erklärt, ohne daß es der Partei geschadet hätte. Sie ist als Arbeiterpartei stark sozial, aber antisozialistisch und scharf antikommunistisch eingestellt. Damit hat sie der Australischen Arbeiterpartei viele Mitglieder abgenommen, die sich an ihrer Tuchfühlung mit zuviel Kommunisten stoßen.

Im letzten Parlament — und jetzt werden Ähnlichkeiten mit Österreich sichtbar — hatten die Bürgerlichen zweiundsechzig, die Arbeiterpartei sechzig Sitze. Da die Mehrheit den Vorsitzenden stellt, schrumpfte sie auf eine Stimme zusammen. So kann man schwer regieren. Kein Mensch dachte aber an eine Koalition zwischen Bürgerlichen und Arbeiterpartei, weil sie in ihren Zielen eben grundverschieden sind — obwohl ihre Mittel einander oft ähneln. Aus der wichtigen Wahl in Australien und der mehr nebensächlichen in Neuseeland, wo die Bürgerlichen ihre knappe Mehrheit nur knapp hielten, können allgemein lehrreiche Schlüsse gezogen werden.

Das sind glückliche Länder, in denen niemand stirbt, weil seine Partei verliert. Man wirft einander Unfähigkeit, gelegentlich sogar Unehrlichkeit vor, aber man tötet nicht und sperrt nicht ein. In unserer Zeit und zwischen Afrika, Asien und Südamerika ist das schon erwähnenswert. Und die australische Wahl vom 30. November 1963 war eine der originellsten und bedeutsamsten.

Noch am 29. November haben Pessimisten einen Sieg der „Arbeiterpartei“ (Labour Party, mit vielen bürgerlichen Wählern) und Optimisten bestenfalls einen knappen Sieg der beiden bürgerlichen Parteien vorausgesehen. Am 1. Dezember hatten die Bürgerlichen ihre Mehrheit von zwei auf 20, vielleicht logar auf 22, vergrößert. Von den sechs Staaten des Bundes fielen zwei, der größte Neusüdwales und der drittgrößte Queensland, von der Arbeiterpartei ab, so daß die Bürgerlichen in den drei größten Staaten und in dem raumgrößten West-Australien siegten. Warum wir die einen Pessimisten und die anderen Optimisten nennen und wodurch dies Wunder trotz aller Fehler der bürgerlichen Parteien in den vierzehn Jahren ihrer Herrschaft zustande kam, das bezeichnet eben die Bedeutung dieser Wahl — nicht nur für Australien.

Es war nicht originell, daß beide Parteien die Wähler mit materiellen Versprechungen zu werben suchten, wobei die Arbeiterpartei um etwa 80 Prozent freigebiger war. Originell war, daß die Versprechungen der Bürgerlichen Wohlstandsversprechungen und die der Arbeiterpartei in ihrem wichtigsten Teil kapitalistische Versprechungen waren. Die Bürgerlichen hatten in diesen vierzehn Jahren antikapitalistische Fehler gemacht, die reichlich Angriffspunkte boten. Dreimal haben sie Konjunktur mit Inflation verwechselt und die Produktionssteigerung, das einzige Mittel gegen Inflation, mit Krediteinschränkungen gehemmt; durch eine starre Obergrenze für Hypotheken den Bau von Tausenden von Häusern, in der Wohnungsnot und Preistreiberei der Bauten durch überhöhte Löhne erstes Ziel jedes Australiers, verhindert; die Banken durch Pflichtablieferungen an die Staatsbank gelähmt; die Sabotierung der Arbeitsschiedsgerichte durch Streiks zugelassen; die Diskrepanz zwischen Steigen der Löhne und der Leistungen nicht durch Kapitalsförderung ausgeglichen, sondern durch ein veraltetes, fiskalisches Steuersystem gesteigert. Innenpolitisch haben sie eine kurzsichtige, kleinbürgerliche Politik betrieben, ohne die jeder Australier mehr hätte konsumieren und mehr ersparen können.

Eine Gegenpartei hatte daher reichlich Angriffspunkte auf kapitalistischem Gebiete. Die Arbeiterpartei scheute sich nicht, sie aufzugreifen, indem sie Handel und Industrie ohne greifbare Gründe einen vagen Aufschwung in Aussicht stellte, aus dem alle ihre freigebigen Versprechungen an die Alten, an die Jungen, an die Kranken, an die Studenten, sogar mit Abschaffung des Bedürftigkeitsnachweises, ohne Steuersteigerung finanziert werden sollten. Das hat ihr die große Masse der wirtschaftlich vernünftigen Wähler nicht geglaubt. Nur eine kleine Gruppe von Industriellen und Financiers ließ sich irreführen und warb für die Arbeiterpartei.

Die Gründe des starken Sieges der Bürgerlichen sind aber_ nicht im Innern, sondern im Äußeren — nicht in der Weisheit, sondern im Mut — zu suchen. Ihre wenigen führenden Köpfe erkannten die Gefahr, die von Indonesien, Südostasien, Rotchina, selbst Indien und von der Beherrschung der UNO durch den afroasiatischen Block droht. Die Vertreter Australiens bei der UNO — und die von Neuseeland, wo am selben Tag ein paralleler Sieg erfochten wurde — sind die mutigsten und unerschrockensten — man kann sagen, gehören zu den wenigen mutigen und unerschrockenen — Delegierten, die vor der in allen Farben schillernden Welle der roten Flut warnen. Die Eroberungsfeldzüge Indonesiens hat den meisten Australiern die Augen geöffnet. Sie wissen, daß die Arbeiterpartei, bei allem Patriotismus ihrer offiziellen Führer, in der Außenpolitik gefährliche Wege geht. Ihr Pazifismus am falschen Platz, der die Eroberer einladet, ihr Vertrauen auf internationale Organisationen wie die UNO trotz offensichtlicher Enttäuschungen, ihre ideologische Nachbarschaft mit Despotismen, wenn sie sich nur rot färben, macht sie in unserer Zeit und am Platz Australiens ungeeignet zur Verteidigung eines leeren Kontinents. England mißverstand 1925, daß seine Verteidigungslinie am Rhein lag. Australien versteht, daß seine Verteidigungslinie bei Singapore liegt und daß es Malaysia gegen die Gefahr vom Süden, Indonesiens, und die vom Norden, Rotchinas, so verteidigen muß wie England damals Frankreich im Rheinland hätte verteidigen müssen, um dem zweiten Weltkrieg vorzubeugen.

Die Australier verstanden auch ganz gut, daß eine Chamberlain-Po-litik einem großen Teil der Arbeiterpartei gar nicht unerwünscht wäre. Sie schließt verschiedene Schattierungen von Kommunisten und Kommunoiden ein, die nicht weniger gefährlich sind, wenn sie ihre Überzeugung verleugnen oder selbst gar nicht verstehen. Es gibt nicht gerade viele Kommunisten in Australien, aber doch zu viele, und sie haben einen unverhältnismäßig großen Einfluß errungen. Gewerkschaften, die zu 75 bis 90 Prozent antikommunistisch oder wenigstens akommunistisch sind, werden von offenen Kommunisten geleitet. Die Arbeiterpartei wird nach ihrer Satzung von einem Komitee von 36 Männern gelenkt, an deren Weisungen ihre Abgeordneten gebunden sind, die aber von den Wählern unabhängig sind und mindestens sechs Kommunisten einschließen. Dieses politische Schachtelsystem hätte es den Kommunisten bei ihrer ausgezeichneten Organisation ermöglicht, jede antikommunistische Außenpolitik zu lähmen. Die Delegierten einer australischen Labour-Regierung würden z. B. sofort für die Aufnahme Rotchinas in die UNO — möglicherweise deren nächste Fehlleistung — für Nasser und wo nur möglich mit der UdSSR stimmen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung