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Wilson in der Schlacht

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Mit dem Wiederzusammentritt des Unterhauses am 9. Juni hat eine kritische Phase begonnen, die höchstwahrscheinlich für den Ausgang der nächsten Parlamentswahlen entscheidend sein wird. Oppositionsführer Heath befindet sich in einer angenehmeren Lage als Harold Wilson. Bei der vor kurzem abgehaltenen Nachwahl in dem stark konservativen Wahlkreis Chichester konnte der frühere Olympiasieger Chris Chataway eine Mehrheit von 26.000 Stimmen erzielen. Der Kandidat der Labour-Partei dagegen kam an die letzte Stelle, hinter den Liberalen. Nun wäre es aber nicht ratsam, aus diesem Wahlergebnis, das im wesentlichen von vornherein feststand, weitgehende Schlüsse zu ziehen. Das wirklich Entscheidende in den kommenden Wochen wird der Kampf zwischen der Regierung und den Gewerkschaften sein. Bekanntlich hat die Regierung Wilson einen Gesetzentwurf zur Gewerkschaftsreform und zur Verhütung wilder Streiks vorbereitet, aber noch nicht veröffentlicht. Dieser Gesetzentwurf sieht unter anderem vor, daß Gewerkschaftler, die gegen Abkommen verstoßen und Anweisungen ihres Verbandes mißachten, in bestimmten Fällen mit Geldstrafen belegt werden.

Der Gewerkschaftsbund hat sich schon von Anfang an gegen diese „Strafklauseln“ gewandt und seinen eigenen Plan zur Gewerkschaftsreform vorgelegt, er soll am 5. Juni, das heißt noch vor dem Wiederzusammentritt des Parlaments, auf einer Sondertagung diskutiert werden. Aber eine der größten Gewerkschaften hat diesen Plan bereits abgelehnt; und nach Lage der Dinge ist es höchst unwahrscheinlich, daß die Gewerkschaften mit einem Plan hervortreten können, der wirksam genug wäre, um die Regierung zum Verzicht auf ihren Gesetzentwurf zu veranlassen.

Premierminister Wilson hat die Gewerkschaftsführer nicht im Zw-ejtel darüber gelassen, daß er die Lage für sehr ernst hält. Nach einer Besprechung mit ihnen, die kürzlich stattfand, wurde ein Auszug aus Wilsons Rede veröffentlicht. Darin heißt es: „Ich muß ihnen mein politisches Urteil abgeben. Sie haben gesagt, wie Sie die wirtschaftlichen Auswirkungen beurteilen. Aber eigentlich geht es um die Frage, ob sich diese Labour-Regierung, halten kann.“ Wilson wies dann auf die tiefgehenden, ja fundamentalen Differenzen zwischen den beiden Flügeln der Labour-Bewegung hin. Wie ernst ist die Gefahr, daß sich

;,jdie LaJjQRegierung njcht $fcysu#?i Ablauf ihrer Amtszeit halten kann? Die Antwort auf diese Frage hängt zum Teil vom der Taktik der Konservativen ab. Wenn der Gewerkschaftsbund keinen Plan vorlegen kann, der für die Regierung annehmbar ist, dann wird sie wohl im Juni ihren Gesetzentwurf zur Ge-werkschaftsraform einbringen. Verschiedene Abgeordnete der Labour-Partei lehnen diese Vorlage mit aller Entschiedenheit ab und würden möglicherweise dagegen stimmen. Sollten auch die Konservativen, die für eine Reform sind, dagegen stimmen — und zwar mit der Begründung, daß die Vorlage nicht weit genug gehe —, dann könnte die Regierung in dieser wichtigen Frage eine Niederlage erleiden und würde höchstwahrscheinlich zurücktreten.

Wohlgemerkt: Dies sind fast alles Hypothesen. So unangenehm den Gewerkschaftlern und den Abgeordneten auf dem linken Flügel der Lalbour-Partei die Idee der Gesetzgebung auch sein mag, noch unangenehmer ist ihnen der Gedanke an eine konservative Regierung. Es ist also durchaus möglich, daß Harold Wilson trotz 'aller Schwierigkeiten die erforderliche Mehrheit erlangen wird.

Wenn das geschieht, dann stünde das Ergebnis der nächsten Parlamentswahlen noch völlig offen. Der entscheidende Faktor wäre wahrscheinlich die Frage, in welchem Maße sich die jüngste Wirtschaftspolitik der Regierung als erfolgreich erweist. Diese Politik legt nicht mehr so viel Gewicht auf Beschränkung von Lohnerhöhungen und Besteue-runig wie auf Eindämmung des Geldumlaufs. In einem langen Fernsehinterview, das vor kurzem gesendet wurde, zeigte Harold Wilson klar und deutlich, daß er entschlossen ist, trotz aller jetzigen Schwierigkeiten weiter zu regieren — und es muß ihn wohl ermutigen, zu sehen, daß Edward Heaths Popularität als Oppositionsführer, nach den Meinungsbefragungen zu urteilen, noch immer erstaunlich gering, ja gesunken ist; und das trotz aller Wahl-erf Ige der Konservativen.

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