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Marion Gräfin Dönhoff war eine moralische Instanz. Letzte Botschaften einer großen Frau.

Am 11. März starb Marion Gräfin Dönhoff, die angesehenste deutsche Journalistin des 20. Jahrhunderts, mit 92 Jahren. Als ihre Krebserkrankung den rechten Arm so anschwellen ließ, dass sie keinen Stift mehr führen konnte - sie weigerte sich, Schmerzmittel zu nehmen, weil sie einen klaren Kopf behalten wollte - , baten sie zwei ihrer Weggefährten aus der Zeit-Redaktion, darüber zu sprechen, was ihr wichtig gewesen war. Die Interviews blieben unvollständig, der Tod kam zuvor.

Sie entstammte dem ostpreußischen Hochadel, die Mutter war Palastdame der letzten deutschen Kaiserin. Aufgewachsen hauptsächlich im Freien auf dem großen Gut der Dönhoffs, übernahm sie als promovierte Volkswirtin die Verwaltung des 700 Jahre alten Familienbesitzes, nachdem ihre Brüder 1939 zum Kriegsdienst eingezogen worden waren.

Im Januar 1945 floh sie - wie Hunderttausende Landsleute, aber zu Pferd - vor der Roten Armee nach Westfalen. Ihr zweites Leben begann. Sie wurde eingeladen, bei der neu gegründeten Wochenzeitung Die Zeit mitzuarbeiten. Von da an kreiste ihr Denken um die geistige und politische Erneuerung Deutschlands. 56 Jahre lang war das Pressehaus in Hamburg die Mitte ihres Daseins.

Die Gedanken ihrer letzten Lebenswochen sind jetzt erschienen, ergänzt durch Unveröffenlichtes, das sie Freunden anvertraute, und ihre berühmtesten Zeit-Artikel. Ein Dokument geistiger Größe, unerschütterlichen Gemeinsinns und politischer Unbestechlichkeit: "Der legitime Platz des Liberalen ist zwischen allen Stühlen."

Was war der großen Zeitbeobachterin Marion Dönhoff als Summe ihres Lebens wichtig? Bis zuletzt grenzenloser Wissensdrang. Und die Erkenntnis, dass bloßer Materialismus keinen Lebenssinn stiftet: "Ich glaube, dass die jungen Menschen heute ein Gefühl der Unbefriedigtheit, der Unerfülltheit haben. Wenn ich mir dieses Leben im Hamsterrad vorstelle, ist das auch kein Wunder. In Ostpreußen sagte man: Das letzte Hemd hat keine Taschen. Jetzt aber arbeiten die Leute ihr ganzes Leben über wie verrückt. Wer diskutiert noch über Fragen des Warum und Wozu? Also, das macht mir große Sorgen."

Der Jugend galt ein Gutteil ihrer Aufmerksamkeit. Seit 1994 fuhr sie jedes Jahr nach Polen in das einzige Gymnasium, das den Namen einer Deutschen, ihren Namen, trug, um den Maturanten Gedanken auf den Lebensweg mitzugeben: Nicht zu jammern und verdrossen zu sein, Gerechtigkeit zu üben, Toleranz zu praktizieren und sich für das Ganze, sprich, den Staat, verantwortlich zu fühlen. "Marktwirtschaft heißt heute: jeder so viel wie er kann für sich selber. Unser Prinzip war früher das preußische: Alles, was du nur für dich tust, ist ganz unwichtig."

Als 19-Jährige hörte sie, zwei Meter von ihm entfernt, Hitler bei einer Ansprache. "Auf mich wirkte er grauenhaft." Dabei blieb es, sie arbeitete im Widerstand. Die rote Gräfin hieß sie in ihrer Jugend. Sie ließ sich von niemandem vereinnahmen und legte stets Wert auf Normen und Formen, die das Zusammenleben zivilisieren. Sie besaß, was Bismarck als Charakter definierte: "Talent minus Eitelkeit". Mit ihrem großen Widerhall war sie der lebende Beweis dafür, dass Deutschland nicht zu einer Konsumnation verkommen ist.

WAS MIR WICHTIG WAR Letzte Aufzeichnungen und Gespräche. Von Marion Gräfin Dönhoff. Siedler Verlag, Berlin 2002

202 Seiten, geb., e 16,50

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