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Bergman in Deutschland

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In einer deutsch-amerikanischen Gemeinschaftsproduktion drehte der jetzt in Deutschland ansässige „nordische Magier des Films“ im Atelier Geiselgasteig seinen 40. Film „Das Schlangenei“ - natürlich wieder ein symbolischer Titel: durch die dünne Membran eines Schlangeneis erblickt man bereits das ausgebildete Reptil.

Die Handlung spielt im November 1923 innerhalb einer Woche in Berlin. Galoppierende Inflation - ein Dollar ist gleich vier Milliarden Mark wirtschaftliches und politisches Chaos, Arbeitslosigkeit, Hunger und moralischer Verfall prägen das Bild dieser Epoche, das Bergmans Kameramann Sven Nykvist mit geradezu kafkaesker Eindringlichkeit eingefangen hat. In diesem Milieu steht als zentrale Figur Abel Rosenberg, ein aus dem Baltikum gebürtiger amerikanischer Jude, der nach dem Selbstmord seines Bruders und Partners einer Artistennummer nach Arbeit sucht und sie in einer makabren Art findet: im Dienste eines deutschen Jugendfreundes, der als Arzt verbrecherische Experimente am Menschen durchführt.

In seiner künstlerischen Wahlheimat engagiert sich Bergman also am Thema der politischen Vergangenheit der Deutschen. Hierbei setzt er die Ausschreitungen der Nazihorden in Berlin früher an, als sie tatsächlich stattgefunden haben. Hitler, der zur gleichen Zeit in München seinen erfolglosen Marsch zur Feldhermhalle unternahm, wird eher als ein Phantom, das man noch nicht ernst nimmt, zitiert. Das Wirken seines Wesens durchzieht jedoch, besonders im äußerst dichten zweiten Teil, den ganzen Film. Hauptakzente liegen dabei auf dem Antisemitismus, der einen politisch teilnahmslosen, dem Alkohol verfallenen Menschen wie Rosenberg so pervertiert, daß er das Geschäft eines Juden gleichen Namens im Affekt halb zerstört, und auf der Züchtung eines „neuen Menschentums“, auch um den Preis von wissenschaftlich bemänteltem Mord.

Eine solche Thematik geht, noch dazu aus der Sicht eines Künstlers wie Bergman, unter die Haut. Nur macht er es sich etwas zu einfach, wenn er mit dem historischen Wissen von heute aus der Zeit von 1923 Prophezeiungen auf das Jahr 1933 und danach projiziert. Auch formal ist Bergman diese Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte nicht so ganz gelungen und erreicht nicht jene unerhörte psychologische Analyse wie in seinen letzten Filmen „Szenen einer Ehe“ und „Von Angesicht“. Die in diesen Filmen so überragende Liv Ullman und der Kung-Fu-Darsteller David Caradine erreichen nicht die geistige Dimension, die man von Bergman-Interpreten gewohnt ist.

RICHARD EMELE

Ein ganz anderes Sujet wählt Rainer Werner Fassbinder in seinem neuen Film „Chinesisches Roulette“. Acht Menschen verbringen ungewollt ein Wochenende gemeinsam in einem Schloß: der Ehemann mit Freundin, die Ehefrau mit Freund, beider Tochter mit ihrer Erzieherin, die Haushälterin und ihr Sohn, der ein Verhältnis mit der stummen Erzieherin hat. Bösartig arrangiert hat das peinliche Zusammentreffen die halbwüchsige Tochter, die ein gelähmtes Bein hat

Eine Kammerspielsituation, die jeden großen Regisseur reizen muß. Rainer Werner Fassbinder hat die Chance vergeben. Der Kameramann Michael Ballhaus ist der einzige, der den als Psychothriller angelegten Film im Griff hat. Da ihm jedoch nur ein schwaches Drehbuch - von Fassbinder selbst verfaßt - zur Verfügung stand, können auch die bedeutungsvollsten Kameraeinstellungen die inhaltliche Leere der Dialoge und die Belanglosigkeit der Story nicht wettmachen. Fassbinders sonst bewährtes Schauspielerteam steht da auf verlorenem Posten. Ein guter Name bürgt eben nicht unbedingt für Qualität.

NADINE HAUER

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