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Das Grauen — heute
Vor vierzig Jahren stillten sich in Vampire verwandelte transsilvani- sche Grafen, von wissenschaftsbesessenen Baronen geschaffene künstliche Monster und bei Vollmond sich in Wölfe umbildende Menschen auf der Kinoleinwand das Bedürfnis des Publikums nach Abreaktion der Angst, nach Schauder und Grusel. Heute lachen wir über Dracula, Frankenstein und den Werwolf oder bewundern bestenfalls deren historische Manifestation; wir sind seither anderes gewöhnt, an anderes gewöhnt werden, weitaus Schrecklicheres, weitaus realeres Grauen: bringt uns doch das Fernsehen täglich beim Abendessen alle Schrecknisse dieser Erde an den Familientisch, die Greuel des Krieges, des Mordens, der Naturkatastrophen, alle Schrecken in dokumentarischer Wirklichkeit. Wir sind abgestumpft worden, doch dafür ist die Angst größer gewordęn — Vampiren würden wir heute wohl nur mehr empfehlen, zum Zahnarzt zu gehen, doch die Ahnung von einer realen Bedrohung ist stärker da als jemals früher. Und so braucht es auch im Kino stärkerer Schockmittel, um uns aus unserer Lethargie etwas aufzurütteln: nicht mehr nächtliche Phantasiegeschöpfe bringen uns zum Fürchten, sondern die Angst in uns; das wirkliche Böse erschreckt uns, dem wir täglich so vielfach begegnen — also muß das Böse im Kino dargestellt werden, besser noch: der Böse selbst…Das bisher größte Spektakel und die bisher größte Spekulation damit, von weltweiter Re klame bestens geschürt, ist nun in unsere Kinos gekommen: die Begegnung mit dem Teufel selbst und seinen Dämonen — „Der Exorzist’, der perfekte Schrecken des Jahres 1974. Und nur so ist diese abstruse Geschichte von einer modernen Teufelsaustreibung (basierend auf einer angeblich so ähnlichen, doch in Wirklichkeit weit entfernten tatsächlichen Begebenheit aus dem Jahr 1949) zu sehen: als raffinierter und handwerklich perfekt gemachter, dramaturgisch wohlberechneter Horrorthriller für starke Nerven, nicht mehr (aber auch nicht weniger). Aus dieser Gruselküche jedoch irgendwelche theologische Bedeutung oder katholische Beziehungen herauslesen zu wollen, wäre töricht und unangebracht — hier stimmt gar nichts — außer der Spekulation mit dem Grauen und damit mit dem Geschäft…
Da ist die französische Mordgeschichte „Trio lnjerna.1’ weitaus gefährlicher und noch abstoßender; mit welch zynischer Bösartigkeit und ordinärer Obszönität diese (ebenfalls nach einem authentischen Fall) ekelerregende anarchistische Anleitung zum Verbrechen gestaltet ist, läßt erschrecken — wo sind die Zeiten von Chaplins „Monsieur Verdoux’ oder der „Ladykiller’? Dabei wäre es blind, hier von einem absoluten „Höhepunkt’ (oder besser Tiefstand) in der Darstellung des Negativen zu sprechen, doch der Gedanke, wie es noch weitergehen kann und sicher wird, sollte Taten dagegen setzen…
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