6656054-1959_30_13.jpg
Digital In Arbeit

Das Leben, das heilige Leben!

19451960198020002020

DER TANZ MIT DEM TEUFEL. Von Günther Schwab. Adolf-Sponholtz-Verlag, Hannover. Preis 19.80 DM

19451960198020002020

DER TANZ MIT DEM TEUFEL. Von Günther Schwab. Adolf-Sponholtz-Verlag, Hannover. Preis 19.80 DM

Werbung
Werbung
Werbung

Das „abenteuerliche Interview“, wie der Untertitel des Buches lautet, gibt sich äußerlich als Roman. Es ist aber im Grunde ein wissenschaftliches Werk: dafür spricht das wohl sehr gekürzte, aber noch immer sehr umfängliche Schrifttumsverzeichnis. Es ist ein aufrüttelnder Mahn- und Weckruf. Es ist nicht zuletzt ein frommes Buch.

Der Kundige weiß sehr wohl, daß es heute ein schier unüberschaubares Schrifttum über die Zerstörung der Natur und über den Naturschutz gibt, über die unerhörten Gefahren, die das menschliche, ja das Leben schlechthin auf unserem Planeten bedrohen, über die Vernichtung des Waldes, das Vordringen der Wüsten und Steppen, die wachsende Dürre; über das Gift im Boden, im Wasser, in Tieren und Pflanzen, in der Nahrung; über das Sterben der natürlichen und erst recht der Kulturlandschaften; über Entartung und Tod des Bauerntums; über die Entlebendigung, die Chemisierung der Nahrung; über die Irrwege der Schulmedizin-’, über die Verwüstung unseres Seelenlebens durch'Hast und Lärm und Unrast; durch Oberflächlichkeit und Sensationsgier, durch Hebung des Lebensstandards; durch Atomtod und -Vergiftung; durch Vermassung; durch Tötung des Geistes.

Günther Schwab jedoch hat es unternommen, in diesem großartigen Buche eine fast lückenlose Zusammenschau aller Gefahren zu bieten, die unser Leben tödlich bedrohen. Das kann nur sein, weil das Böse öder richtiger der Teufel seine Hand im Spiele hat. In der Tat ist es der „Boß“, wie der Dichter den obersten der Teufel unnachahmlich nennt, der ein weitverzweigtes Vernichtungsministerium mit zahlreichen Dezernaten unterhält, um den Menschen abzuwürgen. Er hätte sich die Sache einfacher machen können, da doch „ein ungeheurer Ausbruch der Erdglut das ganze Problem im Handumdrehen lösen könnte, ohne zahlreiche schleichende Methoden“. Aber dem ist nicht'so: „Da der Mensch alle Polizeikräfte der Schöpfung für sich vorübergehend außer Kraft gesetzt hat, muß er die eigene Vernichtung selbst besorgen.“ Der Satan hat das Organ, womit sich der Mensch der Botmäßigkeit entziehen zu können geglaubt hat, das Gehirn, dazu verdammt, die Mittel des eigenen Unterganges zu erdenken (S. 22)..

Wir selbst also, wir und unsere schuldigen Ahnen sind es, die das Schauspiel aufführen, das den vier Menschen vom Satan und seinen Gehilfen vorgespielt wird. Der Teufel läßt nämlich sich selbst und seinen Gästen von den Dezernaten berichten, was diese in den letzten Jahrhunderten und in jüngerer Vergangenheit zum Untergang der Menschheit geleistet haben. Diese Berichte, wie verschieden wirken sie auf die vier Menschen ein: auf den irdischen Bundesgenossen des Satans, den amerikanischen Journalisten Bob Harding und die drei Anwärter auf die Mitarbeit auf Erden, den deutschen Techniker Alfred Groot, den schwedischen Dichter Sten Stolpe und die französische Aerztin Rolande! Je nach Temperament wehren sie sich gegen die — Wahrhaftigkeit des Satans und seiner Helfer, die unverblümt, ja zynisch, ihre Pläne aufdecken. Die Lügengeister sind es. die die Wahrheit sprechen, und sie, und mit ihnen Bob Harding, suchen die drei jungen Menschen zu überzeugen, daß sie am besten tun werden, ihrerseits zum Untergang der Menschheit mitzuwirken, die unter allen Umständen verloren sei und der nichts mehr helfen könne.

Möchten die Berichterstatter, eitel und überheblich, wie sie nach Ansicht des Satans alle.sind. vermeinen, daß sie alles zum besten geleistet haben, so ist es stets der furchtbare-Alte, der Ministerpräsident Mur- duscatu. der sie in die Schranken weis . Der Satan, „der freundliche Dicke“, hat immerhin etwas von dem gemütlichen Teufel mitbekommen, den Dichtung und Sage kennen, aber der Advocatus diaboli läßt nicht mit sich spaßen. Sehr oft kann er nachweisen, daß der Dezernent mangelhaft gearbeitet hat, daß wahrheitsgemäße Berichte, aufwühlende, beunruhigende, in die Presse gelangt sind, über Dinge, worüber die Oeffentlichkeit niemals hätte etwas erfahren dürfen. Aber regelmäßig können die Dezernenten sich rechtfertigen, wie etwa im Falle des Brandes des Atomreaktors 1 der Plutoniumfabrik in Windscale in England am 10. Oktober 1957: „Ich muß hervorheben, daß meine Leute sich richtig verhielten. Behörden und Presse schwiegen sich aus. Die Menschheit erfuhr im wesentlichen nichts. Wo eine kurze Notiz unvermeidlich war, versicherte unsere Experten zum tausendsten Male: .Es besteht keine Gefahr für die Bevölkerung““ (S. 406).

Der Anschauungsunterricht, den die Menschen während mehrerer Tage erfahren haben, hat den Satan, der ja „nichts umsonst tut", überzeugt, daß die drei reif seien, seine Mitarbeiter zu werden. Als solche sollen sie nun in einer großen Versammlung feierlich aufgenommen werden. Es kommt aber anders: Im Hause des Satans, wo der Name Gottes nicht ausgesprochen werden darf, rufen Sten und Rolande dreimal den Namen Gottes aus und sprechen ein inbrünstiges Gebet. Da „sinkt das ganze gewaltige Bauwerk mit einem betäubenden Donnergrollen in sich zusammen“. Denn „Gott hatte den Finger nach der künstlichen Welt gestreckt, und mit ihren tausend Wolkenkratzern, Prunkläden, Maschinen und Reklamen war sie in Trümmer gesunken". Sten und Rolande, die einzigen Ueberlebenden, werden berufen sein, die Stammeltern eines neuen Geschlechtes zu werden. Sie senken Weizenkörner, die Rolande, aus altem Bauemgeschlechte stammend, überkommen hat, nachdem sie der sterbende Großvater gesegnet, als das Dorf durch ein Stauwerk überflutet wurde, vor einem blütenüberladenen Apfelbaume in die Erde, der hat das Grauen überlebt und trägt einen Nistkasten im Gezweig, denn „über Tiere und Pflanzen hat der Teufel keine Macht, sie sind nicht sündig geworden“, und der Nistkasten, ist zwar Menschenwerk, „aber wenn es dem Leben dient, steht es in Gott“.

So mancher wird Schwabs „makabres“ Buch, wie man heute etwa sagen möchte, verdrießlich aus der Hand legen; viele auch werden dem Dichter vorwerfen, daß er uns in Trostlosigkeit entläßt, als ob uns neues Leben nur um den Preis der Austilgung des alten erblühen könne. Wer so spricht, besorgt die Geschäfte des Teufels. Denn der erblickt im Pessimismus seinen eigentlichsten Feind, er kann nur das Beschönigen, Verniedlichen, den verharmlosenden Optimismus brauchen: „Der Zweckoptimismus paßt dem Teufel ausgezeichnet in sein Konzept" (S. 242). Nur wer klar erkennt, wo er steht, wie furchtbar ernst die Gefahr ist, kann sich ihr entgegenstemmen. Noch, nicht lange mehr freilich, haben wir es in der Hand,

die Katastrophe abzuwehren, die, wie Schwab am 5. Oktober 1954 im Auditorium maximum der Wiener Universität gesagt hat, schon begonnen hat: wenn wir entschlossen umkehren, wenn wir den Mut finden zu einer entschiedenen Wandlung, einer Metančia, nur dann.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung