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Die Geschichte eines Balletts

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In der 15-bändigen Gesamtausgabe der Werke Hofmannsthals findet sich im Band Dramen III das vollständige Libretto.der ,Josephslegende”. Den 15 Szenen des Textbuches ist die Widmung vorangestellt: „Unserem Freund Sergei von Diaghilew - die Verfasser H. K. und H. H.” Da das kurze Vorwort von .Hofmannsthal signiert ist, stammt, wie wir auch aus dem Briefwechsel der Künstler erfahren, der Text von Harry Graf Kessler.

Wer war dieser Mann? Seine aus irischem Landadel stammende Mutter galt als eine der schönsten Frauen ihrer Zeit, die auch von Kaiser Wilhelm verehrt wurde. Kesslers Vater, ein erfolgreicher Geschäftsmann, wurde 1879 geadelt und zwei Jahre später in den Grafenstand erhoben. Neben dem Titel hinterließ er ein sehr großes Vermögen, das es seinem Sohn ermöglichte, nach strenger Erziehung in deutschen, französischen und englischen Internaten, ganz seinen Neigungen zu leben.

Schon durch Herkunft und Bildungsgang sowie durch die vollkommene Beherrschung mehrerer Sprachen war Harry Graf Kessler für die Diplomatenlaufbahn prädestiniert und hätte hier, vom Kaiserhaus begünstigt, eine große Karriere machen können. Aber der preußische Reserveoffizier und Garde-Ulan stellte sich bereits 1918 der jungen deutschen Republik zur Verfügung. Als guter Europäer gründete und leitete er die Internationale Friedensbewegung. Der mit Stre- semann und Rathenau befreundete Kessler, der sich auch für die Sozialdemokratie einsetzte, wurde bald der „rote Graf genannt. Noch mehr interessierte er sich für Literatur und Bildende Kunst. Er besaß Wohnungen in Berlin und Weimar, war aber in Paris und London ebenso zuhause. Überall sammelten sich Künstler um ihn, da er nicht nur Mäzen, sondern auch Anreger und Vermittler war. Seine Kunstsammlung enthielt Werke, von denen heute jedes ein kleines Vermögen wert ist. Bereits 1913 gründete und leitete Kessler auch die berühmte Cranach- Presse, welche die schönsten illustrierten bibliophilen Werke während der ersten Jahrhunderthälfte herausbrachte.

Einem Mann wie Kessler mußte das, was in den Jahren 1909 bis 1929 Sergei de Diaghilew mit seinen „Ballets rus- ses” in Paris machte, besonders interes sant und sympathisch sein. Denn auch Diaghilew war ein leidenschaftlicher Kunstliebhaber mit untrüglichem Qualitätsgefühl, ein geschickter Kunstmanager und Vermitler in großem Stil. Was er in den 20 Jahren seines Wirkens in Paris und auf Tourneen zeigte, ist längst in die europäische Kunstgeschichte, und zwar als eines ihrer interessantesten Kapitel, eingegangen. Für seine brillante Tanztruppe mit ihren unübertroffenen Solisten kreierte er Ballette, bei denen - um nur einige Namen zu nennen - die folgenden Maler Bühnenbilder und Kulissen entwarfen: Benais, Bakst, Golo- win, Cocteau, Gris, Derain, Larionow, Rouault, Marie Laurencin und natürlich auch Picasso. Die Partituren stammten von folgenden Komponisten, die speziell für Diaghilew und seine Truppe Ballettmusik schrieben: Proko- fieff, Tscherepnin, Strawinsky, Debussy, Ravel, Satie, de Falla, Respighi, Poulenc, Milhaud und andere.

Aber im gesamten Diaghilew-Reper- toire findet sich kein einziger Name eines zeitgenössischen deutschen Komponisten oder Malers. Da mag ein wenig Pariser (französisch-russischer) Snobismus im Spiel gewesen sein. Vor allem aber fehlte ein Vermittler. Hofmannsthal kannte und bewunderte die ,ßallets russes” sehr, aber es war nicht seine Art, sich anzutragen. Kessler jedoch spielte gern und mit Geschick den Vermittler. Gemeinsam legten sie Richard Strauss ein 1911-1912 konzipiertes fertiges Libretto vor, und da dieser zögerte, wollte man sich schon an einen anderen deutschen Komponisten wenden (Max Regers Name wurde genannt). Da machte sich Strauss rasch an die Arbeit, und am 14. Mai 1914 fand die Pariser Premiere der , Josephslegende” statt, bei der Richard Strauss am Pult stand. Die Choreographie stammte von Michel Fokin, die Ausstattung von Bakst und dem Spanier Josė-Maria Sert, den Joseph tanzte Leonide Massine. Es wurde ein Riesenerfolg, und Diaghilew konnte mit dem Werk nach London auf Tournee gehen.

Im Sommer des gleichen Jahres wurde nicht nur der Aufführung der „Josephslegende”, sondern auch für viele Jahre einer deutsch-französischen Zusammenarbeit ein jähes Ende bereitet. Ihr Leben beendeten Diaghilew und Hofmannsthal irh gleichen Jahr (1929). Kessler befand sich 1933 gerade in Paris, kehrte nicht mehr nach Deutschland zurück und starb 1935 in der Stille eines burgundischen Dorfes.

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