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Die Grenzen öffnen

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Konturierte Abgrenzung und Profilierung einer Partei ergibt sich vor allem daraus, daß sie deutlich sagt, was sie will, ohne Rücksicht darauf, ob vielleicht auch die politischen Gegner dasselbe oder gleichlautendes wollen. Wer ängstlich nur darauf aus ist, sich ja von der Konkurrenz abzuheben, verzichtet auf eigenständige Profilierung und wird auf jene enggesteckten Positionen zurückverwiesen, die der politische Gegner nicht beansprucht: auf erklärte Min- derheitspositiönen.

Da es beim Kampf um die Mehrheit gerade nicht um das scharfe Profil weltanschaulicher Geschlossenheit geht, sondern um den Nachweis toleranter Offenheit und weltanschaulicher Breite, muß das Profilierungsstreben der ÖVP sich besonders auf diesen Nachweis konzentrieren.

In dieser Hinsicht kann auch die Marxismus-Kritik, die von der ÖVP besonders in den letzten Jahren geführt wurde, nur von begrenzter und ambivalenter Wirkung sein. Die durchaus beachtlichen Beiträge seitens der ÖVP, die auf den Stellenwert des Marxismus im neuen SPÖ-Pro- gramm hinweisen, sind für die ideologische Einschätzung des politischen Gegners wichtig und dienen auch in der öffentlichen politischen Auseinandersetzung über die ideologischen Grundlagen der großen politischen Kräfte als nicht nur legitime, sondern auch für die Orientierung notwendige Debattenbeiträge.

Wenn die SPÖ sie als bloß „propagandistisch” abtut, so mißachtet sie damit das Prinzip demokratischer Öffentlichkeit und verkennt überdies die in diesen Beiträgen zum Ausdruck kommende Fairness, die darin besteht, den Gegner geistig ernst zu nehmen und sein Weltbild wie seine Handlungsziele kritikfähig zu halten. Ein Respekt, der übrigens der ÖVP von seiten der SPÖ weitgehend versagt bleibt.

Uber die Wirkung des Marxismus-Nachweises in Programm und Politik der SPÖ, soweit er tatsächlich „ins. Rote” trifft, sollte man sich jedoch innerhalb der ÖVP klar sein: Er festigt wohl das „Feindbild” der eigenen Anhängerschaft, darüber hinaus aber geht er teilweise ins Leere, bewirkt teilweise das Gegenteü und ermöglicht zu einem guten Teil der SPÖ weiterhin die „Doppelstrategie”.

Denn: Maßnahmen und Ziele der SPÖ, denen mehrheitlich zugestimmt wird, als „marxistisch” zu verteufeln, ist - auch wenn sie es tatsächlich wären! - vom nichtmarxistischen Standpunkt aus kontraproduktiv. Es muß bei den Akzeptanten die Meinung verbreiten, daß „Marxismus” ja etwas ganz Gutes sei!

Maßnahmen hingegen, die von der Mehrheit gebilligt werden, oder offensichtliche Mißerfolge der SPÖ - sie ist ja bis dato immer noch Regierungspartei mit absoluter Mehrheit - als typisch marxistisch zu bezeichnen, gibt diesen Mißerfolgen erst eine plausible Erklärung und geistige Legitimation. Aus subjektiver guter Absicht zu scheitern, gilt immer noch als ehrenvoll. Doch diese Legitimation steht den meisten Mißgriffen und politischen Fehlleistungen der Regierung gar nicht zu. Hier wäre nicht der „Marx”, sondern der „Murks” nachzuweisen, wie auch des öfteren moniert wurde.

Und letztlich spart der von der ÖVP oft etwas großzügig erhobene „Mar- ximus”-Vorwurf der SPÖ den Nachweis, daß sie tatsächlich in Theorie und vor allem täglicher Praxis eine marxistische Partei ist. Man sollte den Legitimationszwang, unter dem die SPÖ diesbezüglich steht, nicht unterschätzen.

Gerade weil die SPÖ an ihrem linken Rand seit Jahrzehnten so unangefochten ist und relativ mühelos alle Marxisten in ihren Reihen halten kann, kann sie so weit in die Mitte der Wählerschaft ausgreifen und gleichzeitig die unzufriedenen Linken in ihren Reihen mit dem Feindbild einer scharf antimarxistischen ÖVP und gegebenenfalls mit der Verfassung von tatsächlich marxistischen „Problemkatalogen” beschäftigen.

Die österreichischen Parteien würden sich dysfunktional zum politischen System verhalten und seine Anpassungsfähigkeit empfindlich stören, wenn sie die Homogenität und „Reinheit” der Gesinnungsgemeinschaft höher ‘stellten als die Stimmenmaximierung. Die Strategie der Mehrheitsfindung hat aber ihre Arena und ihr Publikum eindeutig in der Mitte und allenfalls bei jenen neu sich bildenden Gruppen, die sich in das lineare Links-Rechts-Spektrum nicht einordnen lassen.

Abgrenzungen können daher nur im Sinne dessen liegen, der potentiellen Überläufern den Wechsel erschweren will. Wer sich hingegen Zulauf erwartet, macht die Grenzen auf. Erkennbares Profil und Einheit des Handelns sprechen nicht gegen die Öffnung der Grenzen: Nur wer reduziert wird, liegt mit sich im Streit; hingegen wahrt gerade derjenige im Wechsel der Ereignisse seine Identität und Selbstsicherheit, der an innerer Differenzierung zunimmt.

Der Verfasser ist Chefredakteur der „österreichischen Monatshefte”, des ideologischen Organs der ÖVP.

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