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Die Piaf-Story

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Die Autorin dieses Buches — wenn auch nicht die einzige — ist die zweieinhalb Jahre jüngere Halbschwester der Piaf, die mit ihrem bürgerlichen Namen Gassion hieß. Louis Gassion war der Vater, der außer diesen beiden Mädchen noch weitere 17 Kinder von verschiedenen Frauen hatte. Es waren ungewöhnliche und unübersichtliche Familienverhältnisse, in denen die Piaf, der Spatz von Paris, aufwuchs. Geboren wurde sie — am 19. Dezember 1915 — unter einer Straßenlaterne auf der Pelerine eines hilfreichen Polizisten, die Mutter hat sie kaum gekannt, die ersten Jahre verbrachte gie in einem öffentlichen Haus in einer Kleinstadt in der Normandie, das von einer Tante geführt wurde. Halbblind und verschmutzt kam sie dorthin, geheilt und einigermaßen sauber kehrte sie nach Paris zurück und begann in den Straßen zu singen.

Frühzeitig fand sie Gefallen an Soldaten, besonders der Kolonialtruppe und der Legion, später fand sie

Matrosen unwiderstehlich. Ein gewisse Léon Leplée „entdeckte" sie und holte sie in ein Vorstadtkabarett. Nachdem sie Raymond Assio ken- nengelemt hat, darf sie im „ABC", einem bereits bekannteren Lokal, auftreten. Paul Meuriisse, der in Aix-en-Provence Jus studiert hatte, über Marseille nach Paris gekommen war und als Schlagersänger auftrat, war der erste Mann mit Bildung, der ihren Weg kreuzte. Sie bezieht, immer in Begleitung ihrer Halbschwester, eine Wohnung nahe der Place de l’Etoile und lernt Jean Cocteau kennen, der für sie „Der schöne Gleichgültige“ schreibt. Es ist Krieg, Sie singt „Oft sont tous mes copains?", die Tricolore wird ihr weggenommen, aber im übrigen läßt die Besatzungsmacht sie in Ruhe. „Nein, ich war nicht bei der Résistance, aber ich habe meinen Soldaten geholfen“, berichtet sie später. Die Geschichte der Piaf ist eine Geschichte ihrer Auftritte und ihrer Liaisons. Nach dem Filmjoumalisten

Henri Contet folgt der Italiener Yves Montant, der ursprünglich Yvo lävi hieß und aus den Staaten kam. Fast alle diese Männer haben irgend etwas mit dem Chanson zu tun, sie wurden von der Piaf, sobald sie als „Patron" anerkannt waren, in blaue Anzüge gesteckt, bekamen ein goldenes Feuerzeug, Uhr, Kette und Manschettenknöpfe geschenkt sowie grellfarbene Krawatten umgebunden. Marcel Cerdan, der junge Boxer, ihre große Liebe, war abgestürzt, Jacques Pilis hat sie geheiratet, ein junger Grieche, den sie Theo Sarapo nannte, war ihr zweiter Mann und ihre letzte Liebe. Da war sie schon eine alte, kranke Frau, von Alkohol und Drogen zerstört.

Mit ihrem märchenhaften Aufstieg ging ihr körperlicher Verfall fast parallel. Auf dem Höhepunkt ihrer Karriere betrugen ihre Abendgagen 1 Million 250.000 alte Francs, mehr als 3 Millionen Schallplatten waren abgesetzt. Um 15 Milionen kaufte sie sich einen Bauernhof, hat aber in fünf Jahren nicht mehr als drei Wochenenden dort verbracht, rauchend, trinkend, liebend, wie in Paris. Seit 1951 hatte sie vier Auto- unfälle und einen Selbstmordversuch hinter sich, vier Entziehungskuren, zwei Anfälle von Delirium tremens und sieben Operationen. Als sie im Herbst 1963 — an einem Leberkoma — starb, wog sie ganze 33 Kilogramm. Ihr letzter Mann und ihre Freunde waren in liebevollster Weise um sie bemüht, am 14. Oktober wurde sie auf dem Pere Lachaise beigesetzt, Jean Cocteau folgte ihr einen Tag später nach, er war gerade dabei, die Grabrede für die Piaf aufzuschreiben.

„Für dich, meine Edith, habe ich dieses Buch geschrieben, wahrheitsgetreu und ohne zu mogeln.“ Bald nachdem die ersten Teile der Erinnerungen von Simone Berteaut erschienen waren, konnte man in der französischen und in der angelsächsischen Presse lesen, es handle sich um einen postumen Racheakt der stets im Schatten der älteren Schwester lebenden Simone. Aber dem ist nicht so. Die Piaf war ein Phänomen, eine Chansonette mit Leib und Seele, ungebildet — sie konnte keine drei Zeilen ohne orthographische Fehler schreiben und hat nie ein Buch zu Ende gelesen —, mit einem eher inferioren Geschmack, mit einer Stimme und Lebensgewohnheiten von der Straße. Voller guter Eigenschaften, die einen normalen Menschen zur Raserei bringen konnten, besaß sie ein großes Talent und war von einem inneren Feuer verzehrt. Was sie hätte sein wollen, wenn nicht Sängerin? fragte man die Schwer- kranke. Sie antwortete: „Tot.“

ICH HAB’ GELEBT, MYLORD. Das unglaubliche Leben der Edith Piaf. Von Simone Berteaut. Scherz- Verlag, Bern-München-Wien. 341 Seiten. Preis: sFr 26.—.

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