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Ist alles nur Schein?

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Dieses schon von Gabriel Marcel und anderen namhaften Philosophen als bedeutende philosophische Leistung gewürdigte Buch ist der Beantwortung einer Urfrage des Menschen gewidmet: Kann der Mensch objektive Wahrheit und die Wirklichkeit, wie sie in sich ist, erkennen oder bleibt er in den eigenen „Gedankenspinngeweben“ (Nietzsche) unausweichlich stecken? Muß er bei all dem, was er zu erkennen glaubt, immer offenlassen, daß alles vielleicht nur Schein ist?

Der Autor geht diese Frage mit einem eindrucksvollen Ernst an. Er geht von der Verzweiflung Heinrich von Kleists aus, in die dieser durch seine Lektüre Kants, der dem Menschen die Transzendenz in der Erkenntnis absprach, gestürzt wurde. In einem Brief schreibt Kleist, daß er „sich tief in seinem heiligsten Innern davon (von Kants Erkenntnistheorie) verwundet fühlt. Mein einziges, mein höchstes Ziel ist gesunken, und ich habe keines mehr.“ Seifert will eingangs sagen: Können wir diesen auf Kant zurückgehenden Skeptizismus und den Relativismus nicht überwinden, dann sollen wir mit Kleist in Verzweiflung stürzen.

Seifert schickt nicht nur voraus, daß sein Thema ein höchst existentielles, uns wie kaum ein zweites angehendes Thema ist; er zeigt darüber hinaus, daß der Sinn für das Gewicht seiner Fragestellung heute fast verschwunden ist.

Der Autor geht an sein Thema nicht nur mit Ernst, sondern auch mit höchst bedeutenden, ganz klar geschriebenen, keinen Glauben voraussetzenden philosophischen Analysen heran, die zugleich eine fesselnde Lektüre darstellen. Ihm gelingt es mit Erfolg, die Kleistsche Verzweiflung zu überwinden und die Möglichkeit der Wahrheitserkenntnis aufzuzeigen. Dies erfolgt in kritischer Auseinandersetzung vor allem mit Kant, dem späten Husserl (in seiner Husserlkritik liefert Seifert einen höchst bedeutenden und originellen Beitrag), mit Nietzsche, Heidegger und anderen.

Der Autor arbeitet zunächst die von der Transzendentalphilosophie bestrittene Rezeptivität der Erkenntnis heraus. Die Erkenntnis ist kein Akt des Schaffens oder der Phantasie, sie ist kein Konstituieren, sondern ein Empfangen, wie von der Transzendenzphilosophie richtig erkannt wird. Besonders verdienstvoll ist die Zurückweisung verschiedener Körperbilder (etwa Spiegel, Kasten, in den Inhalte hineinkommen), auf Grund deren man dieses Empfangen leicht mißversteht.

Hochinteressant ist der Nachweis, daß der Unterschied zwischen Erkennen und Irren kein äußerlicher ist, der höchstens von einem „idealen Beobachter“ festzustellen wäre, sondern vielmehr einer ist, dessen sich der Erkennende notwendig bewußt ist.

Der Autor greift die im Cartesi-schen „cogito“ liegende Widerlegung der Skepsis auf, führt diesen Gedankengang aber viel weiter als Descar-tes, ja sogar weiter als Augustinus. Er zeigt, welche „Welt“ von Wahrheit in jedem noch so radikalen Zweifel notwendig implicite miterkannt wird — so z. B., wie schon Descartes hervorhebt, die konkrete Existenz des Zweifelnden. Diese kann nicht auch bezweifelt werden, ist doch jeder Zweifel ohne sie unmöglich. Das ist aber nur eine der vielen vom Autor aufgedeckten Wahrheiten, ohne deren stillschweigende Anerkennung der Skeptiker an überhaupt nichts zweifeln könnte.

Zu diesen Wahrheiten sind auch unzählige „ewige Wahrheiten“ zu rechnen, d. h. solche, die höchst intelligibel, absolut notwendig, für jede mögliche W*4t gültig sind. Mit der Herausarbeitung der Erkenntnis solcher ewiger Wahrheiten überwindet Seifert nicht nur die Tanzszendentalphilosophie, sondern auch den Empirismus, den Neupositivismus, jede immanentistische Sprachanalyse. Daraus geht hervor, daß es sich bei diesem Buch um eines der bedeutendsten der neueren Philosophie handelt.

DIE TRANSZENDENZ DES MENSCHEN IN DER ERKENNTNIS. Von Josef Seifert. Universitätsverlag Anton Pustet, Salzburg 1972. 340 Seiten, broschiert, S 248.—.

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