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Ohne Jusos

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Der Münchner SPD-Bundestagsabgeordnete Dr. Günther Müller, der in letzter Zeit immer massiver vor dem Linksrutsch im Münchner Unterbezirk und generell in der SPD gewarnt hat, rief kürzlich eine eigene Wählergemeinschaft ins Leben, die unter dem Namen „Soziale Demokraten 72” mit einer eigenen Liste bei den Münchner Kommunalwahlen im Juni antreten will. Müller selbst wird die Liste als Oberbürgermeisterkandidat anführen; auf den übrigen Plätzen befinden sich neben den sozialen Pflichtkategorien, wie Arbeiter und Hausfrauen, auch bekannte Persönlichkeiten, allerdings mehr von gesellschaftlichem als von politischem Lokalkolorit: Quizmaster Grasmüller aus der TV-Sendung „Alles oder Nichts”, der Heimatschriftsteller Lohmeier, der Schatzmeister vom FC Bayern und prominente Mitglieder der Faschingsgesellschaft. Mit Ausnahme des Wortführers der Wahlgemeinschaft, des Rechtsanwalts Lidl, sind vorerst keine bekannteren Sozialdemokraten wahrzunehmen.

Müller erklärte bei der Gründungsversammlung, daß er diesen Schritt aus Sorge um die Stadt München unternommen habe, die vor den Radikalen von links und von rechts bewahrt werden müsse. Die Jusos hätten genauso deutlich wie einst Goebbels und Konsorten vor der Machtergreifung ihre Ziele dargelegt. Es gehe nun darum, daß die Münchner Bürger ein Exempel setzten, um zu demonstrieren, daß sie nicht bereit seien, ein Rätesystem zu akzeptieren oder das System der DDR zu übernehmen. In einer Grundsatzerklärung wurde ferner festgestellt, daß die Kommunalpolitik, wie sie 12 Jahre von Dr. Vogel geprägt worden sei, fortgesetzt werden müsse und daß sich die Initiatoren der Wählergemeinschaft verbunden fühlten mit allen Kandidaten der SPD, die nicht die Unterstützung der Jusos genießen.

Müller und anderen SPD-Mitgliedern, die seiner Liste angehören, droht nun nach der Parteisatzung der Ausschluß. Da dieses Verfahren durch verschiedene Praktiken hinausgezögert werden kann und sich zudem auch in Bonn unter dem Druck der Mehrheitsverhältnisse keine übertriebene Eile einstellen dürfte, wird Müller seine „Narrenfreiheit”, wie es der neue Unterbezirksvorsitzende Schöfberger nannte, noch weiter ausnützen dürfen. Fest steht allerdings, daß die Münchner Sozialdemokraten ihre ohnehin schmale Hoffnung auf eine absolute Mehrheit bei den Kommunalwahlen nun endgültig begraben müssen. Von den Wählerprozenten, welche die „Sozialen Demokraten 72” auf sich vereinigen werden, dürfte es dann abhängen, ob sie sich zu einer eigentlichen Partei entwickeln. Müller hat schon vor zwei Wochen erklärt, er werde versuchen, die nicht mehr der SPD angehörenden Sozialdemokraten zu sammeln.

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