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Sprengsätze sind gelegt

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Nach einer neuen Phase äußerst hart und in aller Öffentlichkeit ausgetragener Streitigkeiten, die sich zuletzt an der Kandidatenaufstellung für die Stadtreferenten entzündeten, hat sich die Münchner SPD jetzt unter massivem Druck von hoher und höchster Parteispitze zu einem vorläufigen Kompromiß bereitgefunden. Sowohl die rechte Stadtratsfraktion wie auch der linke Parteivorstand stimmten mit Mehr-hei von 33 gegen 8 bzw. 11 gegen 5 einer Erklärung zu, die von einer Schlichtungsgruppe unter Führung des stellvertretenden Landesvorsitzenden Rothemund ausgearbeitet worden war.

Dem Rathausflügel, der sich als Vertreter einer breit gefächerten Volkspartei im Sinne des ./demokratischen Sozialismus“ versteht, werden darin folgende Zugeständnisse gemacht: prinzipiell erhält dieses Gremium das Attest, daß seine Verhandlungen mit der CSU über die Referentenposten als „Informationsgespräche“, nicht aber als „Koalitionsabsprachen“ rechtens waren, allerdings mit der Einschränkung, daß aus Paritätsgründen dabei die Anwesenheit des Parteivorsitzenden angebracht gewesen wäre. Es wird ihm außerdem versprochen, daß das Parteiordnungsverfahren gegen den Linksaußen Bleibinhaus, der eigenmächtig Kontakte mit der CSU gesucht hätte, „beschleunigt“ durchgeführt werde. Wahl als schwerwiegendstes Zugeständnis gilt der — auch von der Bonner Zentrale abgesegnete — Satz: „Der Unterbezirksvorstand tritt einem auch auf dem letzten Unterbezirksparteitag geforderten politischen Kurs entschieden

entgegen, durch den die SPD in eine konsequent sozialistische Partei umgewandelt wird, die im Gegensatz zur Position der linken Mitte steht.“

Der Parteivorstand, der mehrheitlich als Verfechter oder Wegbereiter einer „marxistischen Kaderpartei“ eingestuft wird, erreichte für diese Zusagen in dem Rothemund-Text die Zusicherung, daß alle städtischen Referenten, die für ihre Wiederwahl kandidieren — auf die einhellige Unterstützung der Partei rechnen dürfen. Der gefundene Kompromiß, der — nicht zuletzt unter dem Eindruck der Wahlen in Baden-Württemberg und durch Interventionen aus Bonn — zwischen Vertretern von „Mitte links“ und der gemäßigten Rechten zustande gekommen ist, darf nach den Erfahrungen der letzten Monate und Jahre nicht zu hoch bewertet werden. Vier Kommissionen haben schon früher Einigungspapiere mit mehrheitlicher Zustimmung zuwege gebracht; verwirklicht worden ist keines.

Tatsache ist, daß seit dem Parteitag, an dem Oberbürgermeister Kronawitter ein Sitz im Parteivor-stand verweigert wurde, 300 Mitglieder aus der Partei ausgetreten sind, darunter der ehemalige Pressesprecher des Unterbezirks, Pfundstein, und die Frau des dritten SPD-Bürgermeisters, MüUer-Heidenreich. Dieser selbst schrieb in einem publik gewordenen Brief an die Kommissionsmitglieder und an die SPD-Stadträte: „In der Münchner SPD geht es doch nicht darum, ob Marxisten SPD-Mitglieder sein dürfen, sondern darum, daß überall dort, wo Marxisten in der Münchner SPD Machtpositionen erringen, die ande-

ren Gruppierungen systematisch ausgeschaltet werden, so daß die Münchner Partei nicht mehr dem entspricht, was Godesberg und Mannheim wollen.“

Dies und andere Passagen in seinem Brief wurden dem Bürgermeister so übel vermerkt, daß jetzt der Vorstand ein Parteiordnungsverfahren gegen ihn beschlossen hat. Tatsache ist ferner, daß der gleiche Vorstand nach der Verabschiedung des Kompromißtextes die Aussage gegen die Befürworter einer konsequent sozialistischen Partei bereits wieder erheblich abgeschwächt hat.

Es ist nicht auszuschließen, daß einige SPD-Stadträte am 5. Mai bei der Wahl der Referenten trotz des Einigungstextes nach dem „Hannoveraner-Modell“ für CSU-Aspiranten stimmen werden. Die Sprengsätze für einen nächsten Konflikt sind nämlich schon wieder gelegt.

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