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Stichwahl im Brau
Mit der Wahl des 43jährigen Land- tagsaibgeordneten Georg Kronawitt er zum Oberbürgermeister-Kandidaten für die im Frühling 1972 fällige Neubesetzung des Stadtrates hat die Münchner SPD nach den harten Auseinandersetzungen der letzten Zeit eine erste, äußere Konsolidierung erreicht. Die 228 Delegierten des Parteitages hatten im „Schwa- binger Bräu“ über zwei Nominierungen zu entscheiden, deren Inhaber zwar vom Vorschlag her die beiden gegnerischen Lager repräsentierten, im vertretenen Sachprogramim aber eine beinahe in Details gehende Übereinstimmung zeigten. Gesiegt hat die überzeugendere Persönlichkeit. Der aus kleinbäuerlichen Verhältnissen stammende Kronawitter, der sich mit zupackendem Verstand und eisernem Fleiß eine beachtliche politische Karriere als Landtags- abgeordneter, Agrarexperte und Vorsitzender der SPD-Südbayem erarbeitet hatte, erhielt 129 Stimmen; sein Kontrahent, der agil-joviale, aber noch etwas oberflächlich wirkende Münchner Rechtsanwalt und Bundestagsabgeordnete Manfred Schmidt, unterlag mit 99 Stimmen — weniger knapp als es nach dem bei der Abwahl des alten Parteivorstandes manifest gewordenen Kräftever- verhältnis zu erwarten gewesen wäre.
Oberbürgermeister Vogel, der im
Februar mit seinem spektakulären Verzicht, nicht mehr für dieses Amt zu kandidieren, den Anstoß zu einer massiven Konfrontation mit den meist von Jusos vertretenen linksextremen Meinungen und Methoden innerhalb der Münchner SPD gegeben hat, kann somit nach der Ab- und Neuwahl des Unterbezirksvorstands eine neue,
entscheidende Runde zu seinen Gunsten verbuchen. Freilich hat auch er in der Zwischenzeit einige Federn lassen müssen. Die von ihm angekündigte, baldige Auflösung der beiden Vereine, in denen sich der harte Kern der zwei gegnerischen Gruppen organisiert hatte, ist bis heute nicht erfolgt und manches, was früher unwidersprochen von seiner Seite her hingenommen wurde, findet heute eine recht kritische Würdigung bis hinein in die eigenen Reihen. Die Stellung linksreforme- rischer Kräfte in den wichtigen Führungsgremien ist zwar beschnitten, nicht aber entscheidend geschwächt. Noch vor einigen Wochen hat sich der erweiterte Vorstand, dem auch die Kreisvorsitzenden angehören, mit neun gegen acht Stimmen für eine Kandidatur Schmidts und gegen Kronawitter ausgesprochen.
Rat von Kreisky
Auf dem Parteitag, der unter anderem auch ein kommunalpolitisches Schwerpunktprogramm verabschiedete, war jedoch allgemein das Bestreben zu erkennen, die Auseinandersetzung einzufrieren und sich proportional zu den näher rückenden Wahlen einer geschlossenen Darstellung nach außen hin zu befleißigen. Vor allem Vogel versucht immer mehr die stattgefundenen
Diskussionen als ein „Mehr an Demokratie“ in der SPD auszuweisen und dieses Gütesiegel in eine stärkere Mitgliederwerbung umzumünzen. Eine Großkundgebung mit Brandt und eine am Vorabend des Parteitags organisierte Veranstaltung im Löwenbräu-Keller mit dem österreichischen Bundeskanzler
Kreisky und dem 100jährigen Parteiveteran Deifner sind gut angekommen. Mehr als 1000 Münchner waren zu dem in bedächtigem Charme vom SPÖ-Regierungschef vorgetragenen Einführungskurs in die Sozialdemokratie erschienen. Mit einer offenbar auf den Bedarf des Parteitags abgestimmten Themenwahl ging es Kreisky besonders um die Abgrenzung zum Kommunismus,
die einen „nicht mehr rückgängig zu machenden Prozeß“ darstelle. Die Sozialdemokratie — „Feind Nr. 1“ des Kommunismus — bewege sich „auf ganz verschiedenen Wegen zu ganz verschiedenen Zielen“. Und als gar der vitale 100jährige im — bei 79jähriger Parteizugehörigkeit durchaus entschuldbaren — Zeitraffer die Versammelten anspomte, mit allen Kräften dafür zu sorgen, daß die Sozialdemokratie „die Herrschaft im Land, im Reich“ erringe, da zeigte es sich beim Beifall und den immerhin beachtlichen Mit- gliedsanträgen, daß die Münchner Vorkommnisse bei einem breiteren Publikum die Chancen der SPD sicher nicht empfindlich geschmälert haben.
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