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Signal an der Isar

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Der Parteitag des SPD-Unterbezirks sprach fünf von sechs Mitgliedern seines geschäftsführenden Vorstands das Mißtrauen aus. Der Vorsitzende Dr. Meyer wurde mit 119 gegen 93 Stimmen bei einer Enthaltung abgewählt. Nach einem neunstündigen dramatischen Ringen im Hofbräuhaus ist damit bezeugt worden, daß starke Kräfte der westdeutschen Sozialdemokratie nicht gewillt sind, weiter nach links abzuschlittern.

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Der Parteitag des SPD-Unterbezirks sprach fünf von sechs Mitgliedern seines geschäftsführenden Vorstands das Mißtrauen aus. Der Vorsitzende Dr. Meyer wurde mit 119 gegen 93 Stimmen bei einer Enthaltung abgewählt. Nach einem neunstündigen dramatischen Ringen im Hofbräuhaus ist damit bezeugt worden, daß starke Kräfte der westdeutschen Sozialdemokratie nicht gewillt sind, weiter nach links abzuschlittern.

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Der Vorwurf, den Dr. Vogel vor zehn Tagen in spektakulärer Weise gegen den Vorstand erhoben haitte, dieser habe tatenlos augelassen, daß sich die SPD vom Bild der großen linken, aber demokratischen Volkspartei entferne und dem Typ einer links-

soziaMstisdien Kaderpartei annähere, wurde von der Mehrheit der 216 Delegierten bestätigt. Die Parteispitze ist abgesetzt, binnen 14 Tagen sollen Neuwahlen erfolgen. Dieser Ausgang war nicht eindeutig vorherzusehen. Vermittlungsanträge, Prüfungskomimiissionen einzusetzen oder beiden opponierenden Gruppen das Vertrauen auszusprechen, das schienen noch Auswege zu sein. Vor allem der Vorstand war um Zeitgewinn bemüht. Die Gruppe der Vogel-Freunde — altgediente Ge-werkschafitler und Stadträte, die sich im „Verein zur Verbesserung der Information und der Zusammenarbeit unter den demokratischen Sozialisten Münchens" zusiammengeschlos-sen hatten — waren strikt dagegen. Das erste Abstimmungengebnis, bei dem sich 104 Delegierte gegen und 91 für eine Vertagung aussprachen, machte bereits das Kräfteverhältnis deutlich.

Meyer, Typ eines treu-fanatischen Apparatschik und beinahe schwächstes Mitglied im sechsköpftgen Führungsgremium, konnte für seine effektreiche, offensichtlich nicht von ihm selbst verfaßte Verteidigungsrede gegen die Anwürfe des Oberbürgermeisters Beifall verbuchen. Die Soeaaldemoteratie — so meinte der Münchner SPD-Chef — sei keine Einmannpartei, vielmehr auf die kritische Mitarbeit vieler angewiesen und deshalb nenne der Vorstand seinen Stil nicht Führunigslosigkeit, sondern ein „Mehr an Demokratie". Die Parteimitglieder seien nicht angetreten, nur um den Spätkapitalis-muis wohnlicher und erträgüocher zu gestalten, sondern um die Oesellschaft dort zu verändern, wo sie unmenschliche Züge trage. Wie in keiner Großstadt sei es dem Vorstand in

München gelungen, ein gutes, fruchtbares Verhältnis der Jungsozialisten zur Gesamtpartei zu fördern. Die Diskussion, zu der sich 61 Teilnehmer zum Wort gemeldet hatten, eröffnete Altministerpräsident Hoeg-ner. Beinahe blind, gestützt von zwei

Genossen, beschwor er mit seiner nach wie vor wiiriosamen Autorität die Versammelten, nicht zuzulassen, daß eine Gruppe mit revolutionäreh Ideen .unsere Partei nach Wolkenkuckucksheim bringt". Wer einen Mann wie Dr. Vogel abwürgen wolle, begehe eine sträfliche Dummheit, ja ein politisches Verbrechen an der ganzen Partei. Die emotionsgeladene

Diskussion konzentrierte sich mehr auf Dr. Vogel und die einzelnen Mitglieder des Vorstands als auf sachliche Grundlagen.

Die Gruppe der Vogel-Freunde, bis auf einen eindrucksvoll nur durch Alter, nicht aber in der Argumentation, die in der schriftlichen Dokumentation vor dem Parteitag weit besser geführt worden war, prangerte noch einmal den Führungsstil des Vorstandes an. Dieser habe nur Lippenbekenntnisse zur Abgrenzung von den Kommunisten abgegeben und eine doppelbödige Politik betrieben. Bei den Jungsozialisten, die den Vorstand maßgeblich bestimmten, handle es sich um etwa 350 Leute, die nur ein Zehntel aller jungen Genossen in der Münchner Partei ausmachten.

Bei den Befürwortern der Vorstandspolitik, die auch Selbsitkritlk übten und einige Vorwürfe entkräfteten, herrschte die Auseinamdersetziung mit Dr. Vogel vor. Ihm wurde ein autoritärer und deshalb „konser-vativoider" Führungsstil angekreidet. Besonderen Beifall erhielt die massive Anschuldigung, der Müncti-ner Oberbürgermeister habe als erster Sozialdemokrat eine Massenhysterie gegen die eigenen Genossen eingeleitet.

Nach all diesen Angriffen, die Vogel schweigend als Delegierter unter Delegierten angehört hatte, ertiielt er vorzeitig Gelegenheit zu einer Entgegnung. Apoplektisch gerötet, aber bestimmt und prägnant wie eh xmd je, wiederholte er auf dem Podium unter Applaus und Buhrufen seine bereits bekannte Haltung. Es gehe hier nicht um Personen, sondern um deti’ "politischen "Weg cjiėsėt "Partei, um die Veqf Wirklichung alfer Reformen. Der jetzige Zustand isoliere die SPD in erschreckender Weise von der Masse der Arbeitnehmerschaft und lasse sie in letzter Perspektive zur Sekte werden.

Das Ergebnis der geheimen Abstim-miuing, die nach Abbruch der Debatte und einem dramatischen Schlußappell eines VorstandsmitigMeds sowie des Parteivorsitzenden erfolgte, hat das Signal des Münchner Ober-

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