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„Die Gefahr der Spaltung vermindert“

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FURCHE: Der Ausgang der Wahlen zum Parteivorstand der SPD sowie einige Beschlüsse auf dem Bundesparteitag in Hannover geben Anlaß zu der Bemerkung, in Hannover habe ein „Linksruck“ in der SPD stattgefunden.

VOGEL: Ich bin sehr skeptisch gegenüber diesen vereinfachenden Kategorien „links“ und „rechts“. Es ist richtig, daß wir mehrere Schattierungen in der Partei haben: Vor allem zwei. Die eine möchte ich die theoretischdogmatische Richtung nennen und die andere die pragmatisch-sozialreformerische Richtung. Was die Sachentscheidungen betrifft, so glaube ich, daß auf dem Parteitag überall vernünftige Kompromisse gefunden wurden, die auf der sozialreformerischen Linie liegen. Das gilt für das Bodenrecht, aber auch für die Frage der Vermögensbildung. Bei den Personalentscheidungen muß man sehen, daß diese mehr theoretisch-dogmatische Richtung bisher sehr unterrepräsentiert war, gemessen an ihrer Stärke in den Bezirken. Durch das Wahlergebnis ist jetzt ungefähr ein repräsentatives Spiegelbild der Situation in der Partei entstanden.

FURCHE: Vor dem Parteitag wurde vielfach die Vermutung geäußert, es könnte in Hannover zur Spaltung der SPD kommen oder zumindest zu durchgängig harten Kontroversen zwischen den verschiedenen Gruppen. Gab es etwa vorher Absprachen, die Auseinandersetzung nicht auf offener Bühne stattfinden zu lassen?

VOGEL: Es gibt, wie gesagt, Schattierungen in unserer Partei. Daran hat sich auch durch den Parteitag nichts geändert. Ich glaube, das Neue ist die Tatsache, daß sich im Vorfeld des Parteitages und in Hannover in der Beratung der Sachpunkte der Grundkonsens in wesentlichen Punkten doch als viel tragfähiger herausgestellt hat. Das ist vor allem klargeworden in der Zustimmung, die die großartige Rede von Willy Brandt gefunden hat. Willy Brandt hat nicht nur die Inhalte des demokratischen Sozialismus

in eine'r sehr überzeugenden Form erläutert, sondern auch Abgrenzungen vorgenommen. Abgrenzungen, die keinen Widerspruch gefunden haben. Das hat die Gefahr der Spaltung — soweit sie überhaupt vorhanden war —, weitgehend vermindert. Denn Spaltungen sind ja nur sinnvoll, wenn es in Grundfragen an der Übereinstimmung mangelt. — Manches ist übrigens von aufgeregten Beobachtern etwas dramatisiert worden.

FURCHE: Der Parteitag beschloß gegen das entschiedene Votum des Vorstands — unter an-

derem haben Sie und die Minister Leber und Jahn entschieden anders plädiert —, daß das private Wohnungs- und Grundstücksmaklergewerbe abgeschafft werden soll.

VOGEL: Jeder Parteitag hat Punkte, wo er sich emotionali-siert, wo er einfach auch einer Stimmung folgt. Ich kann auch die Einstellung gegenüber Mißständen und Auswüchsen verstehen. Dem will man dann durch einen Beschluß sichtbaren, Ausdruck geben.

FURCHE: Als sich die Kandidaten für den Parteivorstand vorstellten, wählten Sie das Wort „Sozialdemokrat“. Wollten Sie

sich damit abgrenzen von anderen in der Partei, auf die dieses Wort nicht mehr zutrifft?

VOGEL: Es gibt einen Disput über die Frage „Sozialisten“ und „Sozialdemokraten“. Meine Äußerung war eine klare Bekundung, welcher Schattierung ich mich zurechne. Ich wollte, nachdem zwei oder drei vorher gesagt hatten, sie seien „Linke“, deutlich machen, wohin ich mich rechne.

FURCHE: Als Sie noch nicht Minister in Bonn, sondern Oberbürgermeister in München waren, hatten sie heftige Konflikte mit den Jung Sozialisten. Heute scheinen Sie solche — zumindest in der Öffentlichkeit — nicht mehr zu haben. Änderten sich die Jungsozialisten oder geschah bei Doktor Vogel ein Wandel?

VOGEL: Ich habe von der Haltung, die ich in dem Münchner Konflikt eingenommen habe, nichts abzustreichen, insbesondere von meinen Warnungen. Ich sehe mit einer großen, fast möchte ich sagen Genugtuung, daß Willy Brandt in seiner großen Rede, dort wo er abgegrenzt hat, genau gegenüber den gleichen Gefahren abgegrenzt hat, wie ich das in München getan habe.

FURCHE: Wird die stärkere Repräsentation des „theoretischdogmatischen“ Flügels im neuen Parteivorstand die Spannungen innerhalb der Partei abbauen oder nur auf anderer Ebene verstärken?

VOGEL: Es wird abzuwarten sein, wie sich diese neue Situation auswirkt. Es besteht die Chance, daß Probleme jetzt im Parteivorstand politisch ausgebreitet und diskutiert werden. Das kann helfen. Es besteht natürlich auch die Gefahr, daß schon in diesem Gremium die Dinge sehr verhärten und, was sehr schlimm ist, schon so endgültig werden, daß dann das Prestige ins Spiel kommt. Aber ich bin grundsätzlich Optimist.

Mit Minister Vogel sprach der Bonner FURCHE-Korrespondent Wilfried Rott.

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