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Ein-Mann- Aktion ?

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Auf ihrem Parteitag in Immenstadt hat sich die bayrische SPD für eine Organisationsform entschieden, die es ihr in Zukunft erlauben soll, der CSU energischen Widerpart zu leisten. Mit 164 Ja- gegen 126 Neinstimmen sprachen sich die 312 Delegierten für den Vorschlag des Landesvorstandes aus, die bisherigen Bezirke Franken, Südbayern und Niederbayern-Oberpfalz nur noch als Regionalverbände zu führen und unverzüglich beim Parteivorstand in Bonn die Errichtung eines Landesbezirks Bayern der SPD zu beantragen.

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Auf ihrem Parteitag in Immenstadt hat sich die bayrische SPD für eine Organisationsform entschieden, die es ihr in Zukunft erlauben soll, der CSU energischen Widerpart zu leisten. Mit 164 Ja- gegen 126 Neinstimmen sprachen sich die 312 Delegierten für den Vorschlag des Landesvorstandes aus, die bisherigen Bezirke Franken, Südbayern und Niederbayern-Oberpfalz nur noch als Regionalverbände zu führen und unverzüglich beim Parteivorstand in Bonn die Errichtung eines Landesbezirks Bayern der SPD zu beantragen.

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Diesem Beschluß war eine äußerst heftige Auseinandersetzung vorausgegangen, in der sich vor allem der mitgliederstärkste Bezirk Franken und — aus ziemlich durchsichtigen Gründen — auch die Jungsozialisten heftig gegen eine demokratiegefährdende Superzentrale ausgesprochen hatten. Der auch in der Bundespartei als Organisationsexperte hervorgetretene fränkische Bezirksvorsitzende Friedrich bot als Alternative an, gewisse Rechte und Mittel an den Landesvorstand abzutreten. Die ursprüngliche Variante, den Landesverband als zusätzliche organisatorische Gliederung einzuführen, war vor wenigen Wochen vom Bundesvorstand abgelehnt worden. Friedrich bezeichnete es als den „konservativen Weg", bei gleichzeitigem Abbau der kontrollierenden starken Mittelinstanz eine zentrale Instanz zu schaffen. Deutlicher noch als diese Hinweise brachte seine Anspielung auf den „BonapartiSmus“ zum Ausdrude, wie nun plötzlich manche bayrische Sozialdemokraten davor zurückschrecken, ihrem einzigen starken Mann Vogel auch noch eine maßgeschneiderte Parteiorganisation zu kreieren. Der Münchner Oberbürgermeister hatte im Verein mit der übrigen Parteispitze unmißverständlich erklärt, er werde sich bei einer Ablehnung des Landesbezirks nicht mehr für eine Vorstandskandidatur zur Verfügung stellen.

Nadi der jetzt erfolgten Billigung durch den Parteitag hängt alles weitere davon ab, ob es dem neuen SPD-Präsidium gelingt, in Bonn mit dem in dieser Frage nicht eben reformfreudigen Bundesparteivorstand einen „fairen Kompromiß“ auszuhandeln. Satzungsrücksichten, Überlegungen der Zentrale, daß elf starke Landesbezirke schwieriger zu gängeln sind als 32 losere Kleinbezirke, der mit überwältigender Mehrheit vom Bezirk Franken gefaßte Beschluß, sich nicht aufzulösen, sowie der Selbstbehauptungswille verschiedener Bezirke in anderen Bundesländern, die — wie etwa in Hessen und Rheinland-Pfalz — dem Münchner Modell einen Riegel vorschieben wollen, dürften die rechtliche Liquidierung der drei bayrischen Bezirke trotz der konzilianten Haltung, die Bundeskanzler Brandt und Bundesgeschäftsführer Wischnewski in Immenstadt zeigten, noch lange hinauszögem, wenn nicht gar unmöglich machen.

Vogel scheint indes als Mindestprogramm eine rechtliche und finanzielle De-facto-Aufwertung des Landesvorstandes und einer entsprechenden Basisorganisation anzustreben, um dann nach Erreichung dieses Nahziels selbst die Führung zu übernehmen und die Partei siegreicher als bisher in die Bundestagswahlen zu führen. Gestärkt durch das Votum des Parteitags und neu bestätigt als stellvertretender Landesvorsitzender — mit 226 Ja erhielt er ebensoviel positive Stimmen wie der wiedergewählte Landesvorsitzende Gabert — wird er nun auf Landesebene dieselbe massive Entweder- Oder-Politik anwenden, die ihm im Münchner Unterbezirk den Vorsitz, viel Wählergunst und den erbitterten, noch keineswegs überwundenen Widerstand der jungen Generation, insbesondere der Jungsozialisten, eingetragen hat.

Wohl im Hinblick auf die Ansprüche aus diesen Reihen, versuchte sich der Parteitag außer in Organisations- und Strukturfragen auch auf dem theoretischen Gebiet der Gesellschaftspolitik. Neben gewohnt massiven Ausfällen gegen Strauß und die CSU, denen Gabert „die schrillsten und gehässigsten Töne“ gegen die Versöhnungspolitik der Bundesregierung ankreidete, widmete der Landesvorsitzende den Schwerpunkt seines Rechenschaftsberichts der ideologischen Darstellung der seit Georg von Vollmar in der bayrischen SPD betriebenen „Taktik der politischen, reformierenden Wirksamkeit“. Für die Zukunft forderte Gabert, daß die öffentlichen Dienstleistungen in den Bereichen der Erziehung, der sozialen Fürsorge, der Gesundheitsvor- sorge, der Krankenhäuser, der Altenpflege, der sozialen Versicherung, der Versorgung und Entsorgung des Verkehrs usw. dominieren und schließlich das private Gewinnstreben völlig verdrängen müßten. Die Leistungen sollten immer billiger und Schritt für Schritt schließlich kostenlos werden.

Der Münchner Oberbürgermeister hat die bayrische SPD mit bestimmter Zielrichtung in Bewegung gebracht. Daß die beharrenden und gegenstrebigen Kräfte stark sind, ist auf diesem Parteitag in Immenstadt recht deutlich geworden. Nur kräftige Wahlerfolge bei den Kommunal- und Bundestagswahlen könnten letztlich darüber entscheiden, ob der Anstoß des Dr. Vogel für die SPD mehr wird als was er zur Zeit ist: eine von vielen Seiten argwöhnisch beobachtete Ein-Mann-Aktion.

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