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„Opfer für alle“

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FRAGE: Bei einer Zusammenkunft der Führer der Volkseinheit haben Sie kürzlich die Bilanz aus achtzehn Monaten Regierung gezogen und die Politik für die nächsten Monate definiert. Können Sie uns sagen, welche Kritik an der Vergangenheit geübt wurde und was die Regierung im Augenblick vorhat?

ALLENDE: Wir stehen vor den Fragen eines Referendums und der Parlamentswahlen im März 1973. Ich habe stets dafür gehalten, daß wir uns in dieser oder in jener Form stellen sollen, oder auch in beiden. Ich war immer der Meinung, daß wir uns des Mittels einer Volksabstimmung bedienen können und daß es Sache der Exekutive, beziehungsweise des Staatschefs ist, die Probleme zu bestimmen, zu denen das Volk befragt werden soll.

Was die Wahlen im Jahre 1973 betrifft, so gibt es drei Möglichkeiten. Erste Möglichkeit: Das gegenwärtige Wahlgesetz bleibt in Kraft, jede Partei kandidiert selbständig und innerhalb der Linken existiert folglich eine gewisse Rivalität zwischen den sieben Parteien, die die Volkseinheit bilden. Zweite Möglichkeit: Das Wahlgesetz wird geändert, und rechts wie links bilden sich Koalitionen, zwischen denen die Wähler zu entscheiden haben. Einen Vorschlag in diesem Sinn hat die Christlich-demokratische Partei bereits gemacht. Dritte Möglichkeit: Das Wahltribunal entscheidet über Parteienföderationen, die es annehmen oder ablehnen kann. Ich persönlich bin für diese Lösung. Aber sie stellt eine wichtige Änderung dar, und die Parteien der Volkseinheit wie auch jene der Opposition müssen wohl bedenken, was dieser Schritt bedeutet.

Daß die Volkseinheit sich zu einer einheitlichen Partei vereinigen könnte, wird niemanden verwundern. Während einer Wahlkampagne, die mehr als ein Jahr dauerte, haben wir dem Volk ein gemeinsames Programm präsentiert. In den anderthalb Jahren, die wir an der Regierung sind, haben wir nichts getan, als dieses Programm zu realisieren. Das heißt, die Volkseinheit besteht als solche schon mehr als drei Jahre.

FRAGE: Wie gedenken Sie den Zusammenhalt innerhalb der Volkseinheit zu stärken?

ALLENDE: Indem wir einen klaren politischen Kurs verfolgen, der jede Auffassung ausschließt, welche sich nicht in den Rahmen der Taktik und Strategie einfügt, auf deren Grundlage wir die Schlacht vom September 1970 geschlagen haben. Außerdem müssen wir eine diesem Kurs entsprechende Wirtschaftspolitik entwickeln, eine militante, feste und strenge Wirtschaftspolitik, die uns zu Opfern zwingt, aber zu Opfern für alle, in Proportion zum Einkommen eines jeden, eine Wirtschaftspolitik, die es Chile ermöglicht, einen Devisenvorrat anzulegen. Was ist unser schwacher Punkt? Trotz der Ergebnisse, die wir bei den Verhandlungen über die Konsolidierung unserer Auslandsschulden erzielt haben, ist unsere Devisenlage im Augenblick defizitär.

In der kapitalistischen Welt haben wir Kredite von der Stockholmer Regierung bekommen, und ich möchte bei dieser Gelegenheit betonen, wie sehr wir uns geehrt fühlen durch die Ausdrücke, mit denen in der Debatte des schwedischen Parlaments zu diesem Thema die Regierung der Volkseinheit und unsere Perspektiven, das Land unter Wahrung des Pluralismus, der Demokratie und der Freiheit zu transformieren, gewürdigt wurden. Von Frankreich haben wir einen Kre-

Photo: Votava dit von 50 Millionen Dollar erhalten, um die zweite Linie der Untergrundbahn von Santiago fertigzustellen, ferner Kredite von Spanien und Belgien.

FRAGE: Sind Sie der Meinung, daß die chilenische Revolution ihrer Existenz und ihrem Wesen nach irreversibel ist?

ALLENDE: Die Antwort auf diese Frage hängt natürlich davon ab, wie wir, und an erster Stelle ich selbst, uns bewähren. Wir müssen uns in jeder Hinsicht dem Willen des Volkes und seinen Zielen unterordnen. Es scheint jedoch schwer vorstellbar, daß der abgelaufene Prozeß rückgängig gemacht werden kann, wenn die gegenwärtigen wirtschaftlichen und sozialen Errungenschaften einmal konsolidiert sind. Wer könnte daran denken, den Lati-fundisten ihr früheres Eigentum zurückzugeben? Wer kann sich vorstellen, daß die ausländischen Kapitalisten wieder in den Besitz der Bodenschätze dieses Landes kommen könnten? Oder daß die liquidierten Monopole eines Tages wieder ihr Haupt erheben? Ich glaube wohl, daß die Revolution irreversibel ist, in ihrer Form wie in ihrem Inhalt.

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