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Tito und die Muselmanen

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Wie gebannt starrt die Welt auf den Iran und das Duell der Mullahs mit der Supermacht Amerika. Das scheint weit weg zu sein. Aber der „Chomeini-Effekt“, richtig verstanden als eine weltweite Renaissance des Islams, spielt sich, auch vor Österreichs Haustür ab - im südlichen Nachbarland Jugoslawien.

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Wie gebannt starrt die Welt auf den Iran und das Duell der Mullahs mit der Supermacht Amerika. Das scheint weit weg zu sein. Aber der „Chomeini-Effekt“, richtig verstanden als eine weltweite Renaissance des Islams, spielt sich, auch vor Österreichs Haustür ab - im südlichen Nachbarland Jugoslawien.

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An einem Zeitungskiosk in Sarajevo verlangt ein Mann das Parteiblatt „Oslobodjenje“. Umstehende beginnen zu murren, beginnen den Zeitungskäufer anzurempeln und zu beschimpfen. Dieser Vorfall, von „Oslobodjenje“ selbst beschrieben, hat einen triftigen Grund.

Das KP-Organ der jugoslawischen Teilrepublik Bosnien-Herzegowina bringt eine nicht endenwollende Artikelserie über die „negative, nationalistische Vergangenheit“ des Vielvölkerstaates und verunglimpft neben serbischen Tschetniks, kroatischen Ustaschas und slowenischen Weißgardisten auch die islamische Vergangenheit auf dem Balkan. Wer sich also „Oslobodjenje“ kauft, so meinen militante Muselmanen in Sarajevo, bekunde auch Einverständnis mit seinem Inhalt. Deshalb die vorhin erwähnten Rüpelszenen, diesmal nicht nach Shakespeare.

In einer Filmserie hat auch das bosnische Fernsehen das Verhalten des muselmanischen Klerus während der Nazi-Okkupation Jugoslawiens im Zweiten Weltkrieg ange

prangert und genüßlich den Flirt zwischen islamischen Führern und Hitler-Deutschland ausgewalzt.

Doch statt wie bisher einfach wegzuducken,. proben die Muselmanen Jugoslawiens nun, frei nach Karl May, in den „Schluchten des Balkans“ den Aufstand gegen die Oberherrschaft. Sie nehmen die „Beleidigungen“ nicht hin und drehen den Spieß mit einer geschickten Argumentation um und gegen die kommunistischen Machthaber und ihrer Ideologie von der jugoslawischen V ölkergemeinschaft:

Wer fortwährend von angeblichen oder wirklichen Verbrechen rede, die ein Volk dem anderen auf dem Balkan angetan habe, der zerstöre die Grundlagen der „Freundschaft und Brüderlichkeit“ zwischen den in Jugoslawien lebenden Völkern. Der dürfte künftig nicht auf Gefolgschaft rechnen.

Ein weiterer Beweis für das machtvoll gewachsene Selbstbewußtsein der jugoslawischen Muselmanen ist darin zu sehen, daß immer häufiger von den Vertretern des muselmanischen Klerus im Tito-Staat die Anrede „Brüder Muselmanen“ verwendet wird.

Hinter den simplen Worten verbirgt sich, im historischen Kontext gesehen, aktueller politischer Sprengstoff: Mit „Brüder Serben“ oder „Brüder Kroaten“ hatten sich nämlich in früheren Zeiten in Bosnien jene Volksgruppen tituliert, die den Anschluß an die entsprechenden „Mutterländer“ anstrebten. Wenn nun die Bosnier von „Brüder Muselmanen“ reden - wie erstmals bei der Einweihung der neuen Moschee in Porič Ende September - wird hier indirekt der Wunsch nach Unterstützung von der „Mutter“ des Welt-Islam ausgesprochen.

Alle erwähnten Vorfälle sind ein Indiz dafür, daß radikale Teile des islamischen Klerus ganz offensichtlich bei islamischen Glaubensbrüdem außerhalb Jugoslawiens Rückhalt gesucht und gefunden haben, daß die Renaissance des islamischen Bewußtseins, die mit Chomeini und den Vorgängen im Iran untrennbar verknüpft ist, auch im Tito-Staat vor sich geht.

Die Belgrader „Politika“ beschimpfte das offizielle Organ der islamischen Glaubensgemeinschaft in Sarajevo denn auch als „Hort der Reaktion“, wo nur „Verräter, Kollabora

teure, Politikaster und Nationalisten“ werkten, die sogar „schwerste Kriegsgreuel zu rechtfertigen suchen“. Und mit drohendem Unterton meinte „Politika“, die jugoslawischen Muselmanen mißbrauchten nun die Freiheit, die man den religiösen Gemeinschaften eingeräumt habe.

Während nach innen hin also verbal schon scharf geschossen wird, wiegelt das offizielle Jugoslawien nach außen hin noch ab. - Chomeini- Effekt in Jugoslawien? Das sei wohl nicht möglich, weil die Muselmanen in Jugoslawien mehr eine „Nation“ als eine Glaubensgemeinschaft seien (auch Atheisten in Bosnien bezeichnen sich als Muselmanen).

Außerdem seien die slawischen Moslems in Bosnien und die mohammedanischen Albaner in der Provinz Kosvo sowie die türkischen Reste in Mazedonien doch Sunniten und daher wohl nicht vom Schiiten Chomeini beeinflußbar.

Unbestritten ist jedoch: Wenn die Muselmanen Jugoslawiens, durch wen oder was immer, in Frontstel

lung zum kommunistischen System geraten, ist eine potentiell explosive Lage gegeben.

Denn die „ethnischen Muselmanen“ in Jugoslawien haben seit 1948 explodierende Geburtenraten und dürften von 1971 bis heute von 3,1 Millionen auf mindestens 4,1 Millionen, wenn nicht fünf Millionen angewachsen sein. Vom Geist des Islams geprägte Völker (Bosnier, Albaner), längst die drittgrößte Bevölkerungsgruppe, werden sich also aller Voraussicht nach bei der nächsten Volkszählung in Jugoslawien an den Kroaten vorbei auf den zweiten Platz vordrängen.

Das demographische Vordringen der islamischen Völkerschaften verleiht ihnen aber (ebenso wie in der Sowjetunion) ein gewisses politisches Gewicht - denn Jugoslawien kennt eigentlich kein Mehrheitsvolk.

Auf jeden Fall sind sie einer der „Jolly Joker“ im heiklen Tito-Nach- folge-Spiel, eine der Karten mit außerjugoslawischer Färbung im Macht-Talon.

Über diese innenpolitische Dimension hinaus haben die Muselmanen im Tito-Staat aber auch eine außenpolitische: Bisher schien es so, als habe sich die Zentrale in Belgrad aus Rücksicht auf eine Reihe arabischer Staaten, mit denen man in der Block- freien-Bewegung „solidarisch“ ist (und von deren Erdöl Jugoslawien abhängt) bewußt zurückgehalten und vorsichtig taktiert.

Man ließ dem islamischen Klerus einen gewissen Spielraum, auch wenn es schon früher nicht an Warnungen gefehlt hat, die bosnischen Ulemahs dürften sich nicht auch zum Sprecher der mohammedanischen Albaner und der bloß „ethnischen Muselmanen“ in Jugoslawien machen.

Aber daß sich Libyen unter seinem Revolutionsderwisch Ghadaffi bereits offiziell in Bulgarien über die Behandlung der dort lebenden Mohammedaner beschwert hat, ist auch für Belgrad - trotz aller Gegensätze mit Sofia - ein alarmierendes Vorzeichen. Denn der natürliche Koalitionspartner der vom Islam geprägten Völkerschaften Jugoslawiens (auch wenn sie durchaus nicht alle praktizierende Gläubige sind) sitzt eher nicht in Jugoslawien - sondern ist der Welt-Isalm.

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