"Sie wählten im Gefängnis nur neues Personal"

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Andreas Sami Prauhart, gebürtiger Österreicher und von der UNO unterstützter, unabhängiger Rechtsberater im Kabinett von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas, im furche-Interview.

Die Furche: Am Montag hat die Hamas die Forderung des Nahost-Quartetts (eu, usa, Russland und uno)nach Gewaltverzicht und Anerkennung des Existenzrechts Israels abgelehnt. Wie groß ist der Rückschlag?

Andreas Sami Prauhart: Ich sehe das nicht wirklich als großen Rückschlag. Die Hamas möchte eben nicht das Schicksal der plo nach den Oslo-Verträgen (von 1993 bis 1995 geschlossene Abkommen zwischen der plo und Israel, Anm. d. Red.) erleiden - nämlich in eine Definition der internationalen Staatengemeinschaft gedrängt zu werden, wie man sich zu verhalten hat. So wie in den Oslo-Verträgen alle wichtigen Fragen nur aufgeschoben worden sind - was am Ende etwa zu einer Verdoppelung der israelischen Siedlungen bis zum Jahr 2000 geführt hat -, so geht es auch jetzt leider nicht um die Situation an sich, sondern nur um die Akteure.

Die Furche: Die Staatengemeinschaft setzt voll auf Präsident Abbas. Wie groß ist seine Chance, das Nein der Fatah zu einer Regierungsbeteiligung unter der Hamas zu lockern?

Prauhart: Das Nein der Fatah wird wohl aufrecht bleiben. Es kann aber sein, dass einige ehemalige Minister - vor allem solche, die im Ausland beliebt waren - in einer Art technokratischem Kabinett sitzen werden. Abbas hat jedenfalls diesen Dienstag gesagt, dass er sich zwei Wochen Zeit nehmen will, bevor es ernste Gespräche geben wird. Zuvor will er sich mit seinen eigenen Leuten und seiner Partei, der Fatah, beraten.

Die Furche: Trauen Sie es Hamas-Führer Ismail Hanija zu, seine Gruppierung zu einem konstruktiven Vorgehen bewegen zu können?

Prauhart: Hanija ist jedenfalls einer jener gebildeten Leute, die das Besatzungsschicksal selbst kennen. Das ist auch die Stärke der Hamas - im Unterschied zur Fatah, deren Vertreter meist von außen gekommen sind. Unter Hanija wird die Hamas zwangsläufig in einen Selbstfindungsprozess eintreten und ihre Strategie gegenüber Israel und dem Westen beraten. Diplomatie mit dem Westen ist für sie ja relatives Neuland.

Die Furche: Inwiefern kann die internationale Drohung, die Zahlungen an die palästinensische Autonomiebehörde einzustellen, die Hamas zu konstruktivem Verhalten zwingen?

Prauhart: Finanzieller Druck war schon immer ein Problem - vor den Wahlen und auch jetzt. Die Israelis haben immer wieder ihre Zahlungen zurückgehalten, was sie normalerweise nicht durften. Schließlich sind das Steuergelder der Palästinenser. Man darf nicht vergessen, dass die Palästinenser fast zu 100 Prozent vom israelischen Markt abhängig sind.

Die Furche: Wie hat die palästinensische Bevölkerung selbst auf das überraschende Wahlergebnis reagiert?

Prauhart: Im ersten Schock haben viele Angst gehabt vor einer "sozialen Kontrolle" durch die Hamas - dass zum Beispiel einige Regelungen der Scharia in die Verfassung einfließen könnten, etwa bei der Ehescheidung. Oder dass der Islam im Schulunterricht stärker hervortreten könnte. Ich glaube aber, dass die Palästinenser so säkular sind, dass sie gegen die Hamas rebellieren würde, wenn sie es zu weit treibt.

Die Furche: Wie sieht man mittlerweile die Situation?

Prauhart: Mittlerweile erklären mir immer mehr Leute, dass sie die Hamas nicht nur wegen der Korruption unter der Fatah gewählt haben, sondern auch, um der internationalen Staatengemeinschaft zu trotzen. Viele haben bei den Wahlen das Gefühl gehabt, nur innerhalb eines Gefängnisses ihr Personal wählen zu können. Doch für das Gefängnis selbst hat sich keiner interessiert.

Die Furche: Wie groß ist insgesamt noch die Hoffnung auf eine Zweistaatenlösung, wie sie die "Road map" aus dem Jahr 2003 als Ziel vorsieht?

Prauhart: Was die Palästinenser vor allem wollen, ist Freiheit. Das ist aber nur möglich, wenn man den Vorstoß von Saudi-Arabien und der arabischen Liga endlich umsetzen würde: Also völliger Rückzug Israels zu den Grenzen von 1967 - mit dem Westjordanland samt Ostjerusalem und dem Gaza-Streifen als palästinensischen Staat - und im Gegenzug die volle Anerkennung Israels durch die arabischen Staaten. Auch die Hamas möchte zu dieser Lösung zurück. Derzeit muss man aber zahllose Checkpoints und Mauern überwinden, wenn man von Jerusalem nach Ramallah will. Die Wahlen waren nicht zuletzt ein Ausdruck dieser Verzweiflung.

Das Gespräch führte Doris Helmberger.

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