Christentum vor Christus?

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Doz. Dr. Kurt Schubert analysiert den Streit der Gelehrten über die Funde von Qumran. die furche 21. 4. 1951

Vor genau vier Jahren fanden Beduinen in der judäischen Wüste in einer Höhle zwölf Kilometer südlich von Jericho mehrere hebräische Handschriften, die bald allgemeines Interesse erweckten. [...]

Doch die zweifellos bedeutenderen Texte sind die neugefundenen Apokryphen, die die Vorstellung vom religiösen und geistigen Milieu desjenigen Judentums bereichern, dem zwei bis vier Generationen später das Evangelium Christi verkündigt wurde. Zu diesen Apokryphen gehören ein Sektenkanon, der unter anderem die Aufnahmezeremonien der Novizen der Sekte, ihre Ordnung und Organisation, ihre Gesetze sowie eine Abhandlung über den Dualismus von Gut und Böse in der menschlichen Natur beinhaltet. [...]

Die Apokryphentexte wurden vielfach auch von den bedeutendsten Fachgelehrten bisher nicht mit dem nötigen Ernst behandelt, den dieses schwierige Thema erfordern würde. Überstürzt schossen wie Pilze Bearbeitungen aus dem Boden, die, ohne das Material noch in seiner Gänze berücksichtigen zu können, sozusagen abschließende Resultate geben wollen. Es liegt klar auf der Hand, daß eine jüdische Sekte, die dem ersten oder zweiten Jahrhundert vor Christus angehört, auch Elemente beinhalten muß, die maßgebende Bestandteile des frühen Christentum geworden sind. Von dieser Selbstverständlichkeit ausgehend, darf man aber keine billigen und bei näherer Kritik als unrichtig beziehungsweise verzerrt interpretierten "Übereinstimmungen mit der Lehre und der Person Christi" feststellen, wie es Dupont-Sommer, Professor der Sorbonne in Paris tat, der mehr oder weniger die Grundsätze der frühchristlichen Dogmatik hernahm und apodiktisch behauptete, daß der "Lehrer der Gerechtigkeit", der in den erwähnten Handschriften als die bedeutendste Persönlichkeit der Sekte aufscheint, eben diese dogmatischen Grundsätze schon seiner Gemeinde als verpflichtendes Glaubensgut auferlegte. Dupont-Sommer schrieb wörtlich: "Der galiläische Lehrer (Jesus von Nazaret, Anm. d. Red.), von dem uns die Schriften des Neuen Testamentes berichten, scheint nichts anderes zu sein als eine Reinkarnation des Lehrers der Gerechtigkeit."[...]

Als Reaktion auf die Darstellungen Dupont-Sommers versuchte P. Bonsirven S.J. überhaupt, die Bedeutung der vorgefundenen hebräischen Handschriften für die christliche Religionsgeschichte zu leugnen. Daß er damit weit über das Ziel geschossen hat, geht unzweideutig unter anderem aus den Werken des ehemaligen Rektors des Pontificium Institutum Biblicum in Rom P. August Bea S.J. hervor, der über die religionshistorische Bedeutung der erwähnten Texte sagte: "Sie sind besonders bedeutend, weil sie ein neues Licht auf die religiösen und geistigen Voraussetzungen desjenigen Judentums werfen, aus dem heraus die erste christliche Gemeinde entstand und mit dem sie zusammenlebte". Jeder ernste Forscher kann sich diesem Urteil P. Beas vorbehaltlos anschließen, doch bedarf es der Mäßigung, um nicht kleine und unbedeutende Übereinstimmungen über Gebühr zu überschätzen. [...]

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