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Gelehrte verirren sich

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Die genannten neugefundenen Apokry-phentexte wurden vielfach auch von den bedeutendsten Fachgelehrten bisher nicht mit dem nötigen Ernst behandelt, den dieses schwierige Thema erfordern würde. Uberstürzt schössen wie Pilze Bearbeitungen aus dem Boden, die, ohne das Material noch in seiner Gänze berücksichtigen zu können, sozusagen abschließende Resultate geben wollen. Es liegt klar auf der Hand, daß eine jüdische Sekte, die dem ersten oder dem zweiten Jahrhundert vor Christus angehört, auch Elemente beinhalten muß, die maßgebende Bestandteile des frühen Christentum geworden sind. Von dieser Selbstverständlichkeit ausgehend, darf man aber keine billigen und bei näherer Kritik als unrichtig beziehungsweise verzerrt interpretierten .Ubereinstimmungen mit der Lehre und der Person Christi“ feststellen, wie es Dupont-Sommer, Professor der Sorbonne in Paris, tat, der mehr oder weniger die Grundsätze der frühchristlichen Dogma-tik hernahm und apodiktisch behauptete, daß der Lehrer der Gerechtigkeit“, der in den erwähnten Handschriften als die bedeutendste Persönlichkeit der Sekte aufscheint, eben diese dogmatischen Grundsätze schon seiner Gemeinde als verpflichtendes Glaubensgut auferlegte. Dupont-Sommer schrieb wörtlidi: .Der galiläische Lehrer, von dem uns die Schriften des Neuen Testaments berichten, scheint nichts anderes zu sein als eine Reinkarnation des Lehrers der Gerechtigkeit.“ Ferner soll nach der Meinung dieses französischen Gelehrten der „Lehrer der Gerechtigkeit“ identisch mit dem „Erlöser der Welt“, der „aufgestiegen ist in den Himmel“, der „Gericht über Jerusalem halten wird“, der „der Richter am Ende der Zeiten sein wird“ und dessen „Wiederkunft in Glorie seine Kirche erwartet“. Keine Texte, soweit sie bisher bekannt wurden, sagen solches und in solcher Klarheit vom Lehrer der Gerechtigkeit aus.

Als Reaktion auf die Darstellungen Dupont-Sommers versuchte P. Bonsirven S. J. überhaupt, die Bedeutung der vorgefundenen hebräischen Handschriften für die christliche Religionsgeschichte zu leugnen. Daß er damit weit über das Ziel geschossen hat, geht unzweideutig unter anderem aus den Werken des ehemaligen Rektors des Pontificium Institutum Bibli-cum in Rom P. August Bea S. J. hervor, der anläßlich der 11. Bibelwoche in Rom vom 25. bis 30. September 1950 wörtlich über die religionshistorische Bedeutung der erwähnten Texte sagte: „Sie sind besonders bedeutend, weil sie ein neues Licht auf die religiösen und geistigen Voraussetzungen desjenigen Judentums werfen, aus dem heraus die erste christliche Gemeinde entstand und mit dem sie zusammenlebte“. Jeder ernste Forscher kann sich diesem Urteil P. Beas vorbehaltlos anschließen, doch bedarf es Äer Mäßigung, um nicht kleine und unbedeutende Ubereinstimmungen über Gebühr zu überschätzen.

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