"Mord- und Fechtwaffen"

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Über Tischmanieren und Tischkultur spricht der "Benimm-Experte" Willibald Fuchs mit Veronika Thiel

"Merket: Wenn ihr zu Tische geht, dann lasst die Hände nicht ungewaschen. Schneidet die Nägel von den Fingern, wenn sie lang sind, dass sie euch nicht Schande bringen. {...} Niemand soll mit einem anderen benutzen denselben Löffel beim Essen, das ist gutes Benehmen. {...} Der hat durchaus kein ehrenhaftes Verhalten, der sich über die Schüssel lehnt und so unsauber schnaubt mit dem Munde wie ein Schwein -, der soll bei anderm Viehzeug sein."

Rossauer Tischzucht, 14. Jahrhundert

Willibald Fuchs, der von seinen Kollegen scherzhaft "Wiens einziger akademischer Kellner" genannt wird, hat in den besten Häusern Europas gearbeitet. Als Lehrbeauftragter war er unter anderem an den Hotel und Tourismusschulen modul sowie der Diplomatischen Akademie tätig. Der "Benimm-Experte" studierte außerdem Philosophie in Wien und in den usa.

Die Furche: Können Sie sich an eine Situation erinnern, in der eine Person mit ihrem Verhalten gegen die bestehenden Tischregeln verstoßen hat?

Willibald Fuchs: Ich war einmal Restaurantchef in einem wirklich besonderen Hotel. Einmal haben auch die Rolling Stones in diesem Hotel gewohnt - das muss Ende der 60er Jahre gewesen sein. Einer von den Stones wollte bei uns im Restaurant essen, kam aber ohne Krawatte. Wir hatten damals absoluten Krawattenzwang und wir haben ihm gesagt, dass er ohne Krawatte nicht hinein darf. Da er im Hotel gewohnt hat, ist er dann hinaufgegangen und hat sich ein Badetuch mit so einem Knoten um den Hals gebunden. Er hat mich dann gefragt: "Ist die Krawatte groß genug?"

Die Furche: Haben Sie ihn hinein gelassen?

Fuchs: Ja. Das war natürlich ein Lacher. Er hat sich über seinen guten Trick gefreut und wir uns auf unserer Seite eben auch: So kann man sich austricksen lassen.

Die Furche: Gibt es auch heute noch solche strengen Reglements?

Fuchs: Das hat abgenommen. Schon aus Geschäftsgründen: Die Gäste essen, wie sie wollen. Viele Gäste wissen gar nicht, wie man sich richtig verhält.

Die Furche: Wer definiert überhaupt, was gutes Benehmen ist?

Fuchs: Die Tisch-Benimmregeln sind immer von den Souveränen geprägt worden. Die höfische Etikette ist von denen, die im Rang am nächsten standen, kopiert worden und so sind die Tischregeln dann von einer Gesellschaftsschicht zur anderen gegangen.

Die Furche: Wie steht es heute um unsere Esskultur?

Fuchs: Ich glaube, man kann generell sagen, dass die Esskultur abnimmt und dass immer weniger Menschen Essregeln respektieren. Mir sind schon Aussagen untergekommen, wie: "Es ist egal, was man zu einer Speise trinkt. Hauptsache, es muss einem schmecken." Mir sagt diese Entwicklung, wenn jeder macht was er will, nicht zu. Ich bin kein Reglementierer, aber ich glaube, dass gewisse Regeln und Formen wichtig sind.

Die Furche: Woran liegt diese Abnahme der Esskultur?

Fuchs: Es hängt ganz sicher auch damit zusammen, dass immer weniger Familien gemeinsam essen und den Kindern so nicht mehr vorgezeigt wird, wie es geht. Ich sehe das auch bei uns im Ausbildungsbereich: Viele unserer Schüler, die mit 14 oder 15 Jahren zu uns kommen, müssen Essen erst erlernen: wie man zum Beispiel richtig Messer und Gabel hält und dass man das Messer nicht abschleckt.

Die Furche: Erleben Sie des Öfteren, dass Personen diese Tisch-Grundkultur fehlt?

Fuchs: Ja, bei Kindern wie bei Erwachsenen. Achten Sie nur einmal im Restaurant genau darauf, wie Leute Messer und Gabel halten: wie Mord- und Fechtwaffen!

Die Furche: Welche Grundregeln möchten Sie auch in der Alltagstischkultur nicht missen?

Fuchs: Zum einen würde ich mir wünschen, dass man die Haltung bei Tisch bewahrt, nicht die Hände aufstützt oder unter dem Tisch hat. Das zweite ist, dass man die Handhabung des Bestecks und der Gläser beherrscht: Es kostet mich nicht mehr, ob ich die Gläser dauernd oben mit der ganzen Hand anfasse, oder unten am Stiel. Und dass man Servietten verwendet. Das sind grundsätzliche Dinge, die nicht auch noch verloren gehen sollen.

Die Furche: Was halten Sie dann von Fast-Food und Finger-Food?

Fuchs: Ich würde mir wünschen, dass diese Form des Essens aus dem Karton nicht überhand nimmt. Es stehen allerdings sehr finanzkräftige Firmen dahinter, da man weiß, dass man hier viel Geld verdienen kann. Mit hoher Tischkultur verdient man relativ wenig, weil die Kosten für Tischinventar, wertvolle Nahrungsmittel und Personal so hoch sind.

Die Furche: Sie unterrichten auch an der Diplomatischen Akademie. Was muss auf dem internationalen Parkett besonders beachtet werden?

Fuchs: Die diplomatische Etikette wurde durch die Wiener Konvention von 1961 reformiert: Unter anderem geht es dabei auch um Begrüßungsregeln und um die Sitzordnung.

Die Furche: Wie wichtig ist die Sitzordnung?

Fuchs: Sehr wichtig und zwar insofern, als dass es Verwicklungen geben könnte, wenn ein Ranghöherer oder Gleichrangiger nicht so platziert und serviert wird, wie er das erwartet. Manche Diplomaten sind sehr sensibel.

Die Furche: Kann es, wenn die verschiedensten Tischkulturen aufeinander prallen, nicht zu Missverständnissen kommen?

Fuchs: Natürlich. Die Amerikaner haben zum Beispiel grundsätzlich andere Regeln entwickelt, die wir nicht goutieren. Wenn sie Fleisch essen, schneiden sie es ganz auf, legen dann das Messer oben über den Teller hin und essen nur mit der Gabel. Bei uns würde es niemandem einfallen, das Fleisch nicht anzustechen, dann die Gabel zu drehen, um das Fleisch zum Mund zu führen und vorher vielleicht etwas von der Sauce auf das Fleisch zu geben.

Die Furche: Führt das nicht ständig zu diplomatischen Verstimmungen?

Fuchs: Nein, denn die Etikette der Diplomaten ist international geregelt. Es gibt auch internationale Grundregeln, was die Speisenfolge und Weine anbelangt, die eingehalten werden müssen, denn bei diesem Mix aus verschiedensten Staaten kann keiner seine nationalen Regeln durchsetzen.

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