Fuchs

Elisabeth Fuchs: "Das ist Magie"

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Die Chefdirigentin der Philharmonie Salzburg, Elisabeth Fuchs, über die Stille in der Musik, spirituelle Klänge und große Momente.

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Die Chefdirigentin der Philharmonie Salzburg, Elisabeth Fuchs, über die Stille in der Musik, spirituelle Klänge und große Momente.

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Elisabeth Fuchs war - bis zur Berufung Marin Alsops an die Spitze des RSO Wien - lange Zeit Österreichs einzige Dirigentin mit eigenem Symphonieorchester. Seit 1998 leitet Fuchs die Philharmonie Salzburg (bis 2012 "Junge Philharmonie"). Neun Jahre später gründete sie die Kinderfestspiele in der Mozartstadt. Im Interview mit der FURCHE erklärt die in Kirchdorf an der Krems (OÖ) geborene Wirtstochter und zweifache Mutter, wie die Musik zur Menschenbildung beiträgt und dass für sie ein Weihnachtsfest ohne gemeinsames Singen mit der Familie undenkbar ist.

DIE FURCHE: Am 23. Dezember dirigieren Sie das Konzert „Swinging Christmas“ und werben damit, die Klassiker der stillen Zeit „swinging“ zu interpretieren. Ist Ihnen die Weihnachtszeit nicht schwungvoll genug?

Elisabeth Fuchs: Die so genannte stille Zeit gehört mittlerweile zu den schnelllebigsten und stressigsten Perioden im Jahr. Deshalb greife ich in einem Weihnachtskonzert auch diese Ebene auf. Aber nicht nur. Ein andermal spielen wir Barockmusik. Weihnachten hat viele Farben und mir geht es darum, diese Nuancen aufzuzeigen.

DIE FURCHE: Sie haben angemerkt, die „stille Zeit“ wäre für die meisten eher hektisch als besinnlich. Wie kritisch sehen Sie das?

Fuchs: Die Stille findet ja in einem selber statt. Oder örtlich bei einem Zuhause. Sobald ich aus der Tür raus gehe, gehe ich in einen Austausch mit der Umwelt. Dass die Vorweihnachtszeit mit viel Trubel verbunden ist, sehe ich gelassen oder sogar positiv. Wir bereiten uns auf ein großes Fest vor. Das ist doch ein Freudentanz. In anderen Kulturen, zum Beispiel in Mexiko, wird das noch viel turbulenter zelebriert.

DIE FURCHE: Technisch betrachtet ist Musik ein organisiertes Schallereignis. Stille wird definiert als die Abwesenheit von Geräuschen. Dennoch scheinen sich die Komponenten nicht zu widersprechen. Warum?

Fuchs: Denken Sie an die komponierte Stille. Nehmen wir Arvo Pärt (estnischer Komponist mit österreichischer Staatsbürgerschaft, der als Vertreter der „Neuen Einfachheit“ gilt; Anm. d. Red.), der taucht quasi in die Stille ein und lässt daraus Klänge entstehen. Gleichzeitig muss man sagen: Musik ist nicht still. Aber sie kann dazu beitragen, in mir einen Kanal zu finden, der mich ruhiger werden lässt. So wiederum komme ich zur Stille in mir.


DIE FURCHE: Warum ist die Musik so bedeutsam für den Menschen?

Fuchs: Musik ist die Kunstform, die uns direkt in der Seele berührt. Wir gehen raus aus dem Kognitiven und rein in die Gefühlswelt.


DIE FURCHE: Wann geschieht das innerhalb ihrer Profession als Dirigentin?

Fuchs: Wenn auf der Bühne die magischen Momente entstehen und dadurch den Saal, das Publikum, das Orchester berühren, und so alle zusammen etwas Überirdisches erleben. Man kommt in ein ganz anderes Level hinein. Die Kraft der Musik, die schafft es, dass unser Hirn ein bisschen entleert wird und sich entspannt.


DIE FURCHE: Können Sie das an einem Beispiel benennen?

Fuchs: In Dvořáks Cellokonzert gibt es eine Stelle, wo das Cello dann in eine andere Lage übergeht und ganz besonders weinerlich wird. Es wird leiser und leiser. Fast bis zum Nullbogen. Alles zieht sich zurück. Und aus der Stille, da kommt dann dieses Sehnsüchtige. Das ist Magie. In diesem Moment wird Energie, wird Farbe, werden Empfindungen transportiert.


DIE FURCHE: Welche Rolle spielt dabei das Instrument, also in Ihrem Beispiel das Cello?

Fuchs: Das Cello hat eine sehr berührende Art in der Klang-Entfaltung, das etwas in mir zum Vibrieren bringt. Bei einem Cello-Solo spüre ich dieses Feine, dieses Weinerliche. Oder Mendelssohn. Die fünfte Symphonie, das Andante, ist wie ein Schweben. Die Musik hebt ab und taucht in diese andere Welt ein, in die Überwelt. Dennoch: Am Ende sind es die Werke, die den großen Moment auslösen.

Musische Bildung fördert die soziale und ästhetische Kompetenz. Doch die wird zunehmend vernachlässigt.Stattdessen bilden wir Menschen heran, die sehr im Außen leben.

DIE FURCHE: Ist Musik spirituell?

Fuchs: Für mich ja. Dennoch gibt es auch absolute Musik, die keine Story erzählt und einfach nur schön ist. Und dann gibt es wieder Musik, bei der ich merke, dass sie mich auf eine ganz andere Ebene bringt. Dennoch will ich mich davon distanzieren, Musik von vornherein als spirituell zu bezeichnen. Denn dann ist es so, dass sie fast schon wieder instrumentalisiert wird.


DIE FURCHE: Sie sprechen von einer Magie, die in einem Konzert spürbar wird oder eben nicht. Kann man diese Wirkung als Dirigentin planen?

Fuchs: Wenn das Handwerk nicht sitzt, ist das Stück zum Scheitern verurteilt. Umgekehrt ist es aber so: Damit ein musikalischer Augenblick auf der Bühne außergewöhnlich oder gar magisch wird, müssen noch weitere Faktoren hinzukommen.


DIE FURCHE: Wie müssen wir uns einen solchen Augenblick vorstellen?

Fuchs: Auf einmal ist dieser Kanal nach oben oder nach innen frei. Dann verselbstständigt sich der Ton, alles ist eine Einheit und das spürt auch das Publikum. Alles verbindet sich. Das macht es so dramatisch.


DIE FURCHE: Stichwort Menschwerdung und Musik. Welche Bedeutung hat die musische Bildung von Heranwachsenden in Ihren Augen?

Fuchs: Musik verbindet die Synapsen im Gehirn wie sonst keine andere Beschäftigung. Dass die humanistische Bildung stark abgenommen hat, ist ein grobes Vergehen der österreichischen Bildungspolitik. Die Fokussierung auf Naturwissenschaften und Sprachen führt dazu, dass wir junge Menschen heranbilden, die sehr im Außen leben. Die Musik, die Kunst, auch die Religion, geben uns aber die Möglichkeit, dass wir zu uns finden. Und damit auch zur Stille, die ein rares Gut geworden ist.


DIE FURCHE: Musische Bildung bringt den Menschen die Stille näher?

Fuchs: Ja. Ein Mensch kann im größten Lärm überleben, wenn er die Stille in sich hat oder weiß, wo er sie finden kann. Beim Hören eines bestimmten Musikstückes kann man besser zu sich kommen. Zur Entwicklung und zur Menschwerdung gehört es dazu, zu wissen, wer man wirklich ist.


DIE FURCHE: Welche Folgen wird diese Reduktion der humanistischen Schulfächer letztlich haben?

Fuchs: Je mehr wir die künstlerischen und humanistischen Unterrichtsgegenstände entfernen, desto ärmer wird der Mensch in der Zukunft. Es heißt immer, wir müssen die Kinder fit machen für die Wirtschaft, für die Wirtschaft und noch einmal für die Wirtschaft. Ich sage: Nein! Die Wahrheit ist: Wir müssen den Mädchen und Buben den Horizont öffnen. Musikalische und musische Bildung fördert die ästhetische und die soziale Kompetenz. Um diese Dinge geht es doch im Leben. Ob ich einen Logarithmus im Kopf ausrechnen kann oder nicht, ist mit Blick auf das große Ganze nebensächlich.


DIE FURCHE: Räumen Sie dabei eigentlich allen Genres dieselbe Bedeutsamkeit ein?

Fuchs: Die klassische Musik ist im Vergleich zur heutigen Pop-Musik um Potenzen komplexer. Das macht es aber auch schwieriger, sie zu erarbeiten. Für frühere Generationen war das leichter, weil sie nicht so dauerbespaßt waren. Dennoch: Nein, ich finde nicht, dass eine Musik wertiger ist als die andere. Nehmen wir den Schlager. Jemand wie Helene Fischer begeistert Massen. Genau das ist die Aufgabe der Musik: zu berühren und zu verbinden. Ob das ein schönes Volkslied macht, der Bach Choral, Technomusik oder „Deutschland sucht den Superstar“.

Lesen Sie auch die Denkmuster mit Lou Lorenz-Dittlbacher, Hubert von Goisern oder Chris Lohner.

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