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Kulturdebatten ohne Sinn

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Unlängst gab es in der Gesellschaft für Literatur, anläßlich eines Wien-Symposions, Vorträge über das Kabarett. Zuerst sprach Hans Weigel über das Kabarett 1918 - 1960, dann Gottfried Schwarz über Satire heute. Nach einer Pause gab es eine Video-Vorführung über das Kabarett von heute.

Abgesehen davon, daß ich die dargebotenen Nummern bis auf Ausnahmen als mehr als mittelmäßig empfand, hat mich das demonstrative Nebeneinander von Älteren und Jüngeren eher erschreckt als erfreut. Es erschreckt mich immer. So wie mich auch die gemeinsamen Versuche von Subkultur und Hochkultur immer erschrecken.

Das schien aber nur mir so zu gehen, denn es gab viel Applaus hinterher. Wolfgang Kraus bat um Stellungnahmen, und nun hätte ich etwas sar'pn kr- ncn, aber ich schwieg, weil ich mir das Schweigen in den letzten zehn Jahren angewöhnt habe.

Warum? Ich versuche, mir darüber klar zu werden.

Im Buch „Zen in der Kunst des Bogenschießens" von Eugen Herrigel wird ein Weg zur Vervollkommnung der Person beschrieben. Ein Mensch, der diese Kunst beherrscht, stimmt mit Welt und Universum überein; die Ubereinstimmung ist vollkommen — wie die Note und der Ton A überall ein A ist. Ich habe das Buch von drei Lehrerinnen — einer Yoga-, einer Gesangs- und einer Sprechlehrerin — zu lesen bekommen: als Gleichnis für das zu Lernende. Die drei Studien sind ganz und gar unterschiedlich, dennoch sehen die drei auf ihre Art außergewöhnlichen Lehrerinnen den gleichen Weg vor sich. Ich möchte an diesem Beispiel zeigen, wie es sein könnte, ja, sein müßte. Aber

Grundwerte des Lebens werden heute ad absurdum geführt. Das bringt mit sich, daß Diskussionen und Gespräche schwierig, wenn nicht unmöglich geworden sind.

Man kann noch diskutieren, wenn ein Kind mit hohem Fieber liegt. Das ist eine Lebenssituation: das Kind, das stirbt oder gesund wird, zwingt zu einem gemeinsamen A. Aber über Literatur, Kunst, Ethik oder Ähnliches können wir nicht mehr wirklich debattieren: es fehlt die Gemeinsamkeit der Lebenswerte. Das Finden eines gemeinsamen A in einer Diskussion wäre vielleicht gekennzeichnet durch Betroffenheit oder Stille, durch das einfache schöne Gefühl der Richtigkeit, das sich einstellt, wenn man ein Instrument stimmt.

Gehör für das Leben? Lebensgehör? Wer hat das heute?

Wenn die Hochkultur aus dem A ein hohes C macht, weil sie das als künstlerische Steigerung empfindet, und daraufhin die Jüngeren eine Subkultur ins Leben rufen, die aus dem tieferen E ein A machen will, haben wir keine gemeinsame Basis mehr.

Soferne man sich zu dieser Lage der Dinge bekennt, gibt es wenigstens in einem Punkt Verständigung, in der Tatsache nämlich, daß wir uns miteinander nicht verständigen können. Das ist immer noch besser als das allgemeine Durcheinander. Der gegenwärtige Mischmasch ist für Menschen mit Lebensgehör bedrückend. Heut der Wittgenstein und morgen der Sigi Maron; der Ernst Fuchs und der Peter Turrini in gemeinsamer Sache; der Andre Heller, der den Adolf Loos besingt — das und Ähnliches aufzunehmen mag eine Toleranzübung sein, aber keine Frage der Kultur.

Die wirkliche Begegnung von. sehr verschiedenen Menschen ist eine Frucht ihrer Arbeit an sich selbst. Dazu gehört, daß man seine Talente auf ein gemeinsames A hin einsetzt, und nicht losgelöst davon, wie es gegenwärtig der Fall ist.

Heute können nur mehr Menschen miteinander diskutieren, deren reale Leben einander berühren, oder Menschen, die sich einig sind: wirkliche Freunde oder ein Philosoph und sein gleichgesinnter Kreis.

Aber all diese Gespräche der vielen grundverschiedenen Menschen, der bunt zusammengewür-. feiten Scharen, diese Diskussionen von Leuten, deren A's über ganze Oktaven verstreut sind, bleiben sinnlos. Es sei denn, man huldigt dem Motto (um wieder zum Kabarett zurückzukommen): Das wichtigste bei einer Diskussion ist, daß man nicht draufkommt, daß sie eine ist, weil sonst ist sie aus.

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