Erst beraubt, dann erpreßt

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Thomas Trenkler dokumentiert den NS-Kunstraub und dessen Prolongation nach der Befreiung.

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Thomas Trenkler dokumentiert den NS-Kunstraub und dessen Prolongation nach der Befreiung.

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Ein verhafteter Jude saß im Zimmer eines Gestapomannes, der nebenbei mit Möbeln abtransportierter Juden handelte, als dieser mit einem Gestapohäuptling namens Rixinger telefonierte. Ob dieser nicht endlich wieder einen Judentransport zusammenstellen könne, seine Lager seien leer. Vor einem verhafteten Juden nahm man sich kein Blatt vor den Mund. Es ging aber schon aufs Kriegsende zu, der Zeuge überlebte und erzählte nach dem Krieg einem Gericht von dem Gespräch. Diese Episode zur Einstimmung auf zwei neue Bücher.

Beide Autoren sind Journalisten. Hector Feliciano ist Fachmann für Beutekunst in Frankreich, Thomas Trenkler Redakteur des "Standard" und recherchierte, wie die Republik Österreich Eigentümer geraubter Kunstwerke wurde. Der Kunstraub der Nazis, die Prolongation dieses Kunstraubs im Nachkriegs-Österreich: Eine umfassende Geschichte des Nationalsozialismus unter dem Gesichtspunkt der nackten Gier steht noch aus. Die ganz und gar uneigennützige Gier kunstbegeisterter Museumskuratoren bildet dabei eine besondere Kategorie.

Feliciano beschreibt in "Das verlorene Museum" den Kunstraub in allen Einzelheiten, die Schicksale von Menschen und Kunstwerken. Auch in seinem Buch ist am aufschlußreichsten, wie es weiterging: Geraubte Kunstwerke verschwanden nicht nur in Privatsammlungen, sie hängen auch noch immer in großer Zahl in Frankreichs Museen.

Trenkler zeichnet in "Der Fall Rothschild" einige nicht untypische Beamtenkarrieren nach. Vor 1938 erfreuten sich Ludwig Baldass, Ernst H. Buschbeck und Fritz Dworschak freundschaftlicher Beziehungen zu den Baronen Louis und Alphonse Rothschild, die Mäzene und Freunde des Kunsthistorischen Museums waren. 1938 stieg Dworschak nach dem Nazi-Einmarsch vom Kustos des Münzkabinetts zum Chef des Kunsthistorischen Museums und "Unterbevollmächtigten für die Bewachung der Sammlung beider Rothschilds", Baldass zum Leiter der Gemäldegalerie auf. Er wurde zu seinem Glück nach einigen Monaten abgelöst, blieb aber Kustos. Buschbeck kam im April 1939 unter Hinweis auf seine jüdischen Urgroßeltern von einem Englandurlaub nicht zurück. Die beiden anderen beteiligten sich eifrig am Gerangel der Museen um geraubte Kunstschätze, schrieben Wunschlisten, nahmen Stellung gegen "Versuche, diese den Juden abgenommenen Sammlungen wieder an Juden zu verkaufen", wiesen darauf hin, daß "die fünf Holländer", Hauptwerke der betreffenden Meister, "den ganzen Rang unserer holländischen Abteilung heben würden" und verwahrten sich gegen den Vorwurf der Raffgier seitens der NS-Behörden, die Kunstschätze waren nämlich hauptsächlich für das große Linzer Museum bestimmt, von dem Hitler träumte: Schließlich habe das Kunsthistorische Museum "seit 150 Jahren fast keine nennenswerten Erwerbungen" mehr tätigen können.

1945 stieg Dworschak zum Kustos I. Klasse ab und Baldass neuerlich zum Leiter der Gemäldegalerie auf. Buschbeck kehrte aus der Emigration zurück. Nun unternahmen Baldass und Buschbeck alles, um zu verhindern, "daß diese hochbedeutende Privatsammlung, die ein Stolz und eine Zierde Wiens war, nun diese Stadt verlassen soll" (Baldass am 22. August 1946 ans Bundesdenkmalamt). Natürlich spielte sich diesmal alles zivilisiert ab, auch war nun nicht von Beschlagnahme die Rede, sondern von Ausfuhrbewilligungen für Kunstwerke, die zurückgestellt werden sollten.

Im Endeffekt gingen die bedeutendsten der Familie Rothschild geraubten Gemälde nebst zahlreichen anderen Objekten in den Besitz des Kunsthistorischen und anderer Museen über. Die Umstände waren bis vor kurzem ein Geheimnis. Daß sie ruchbar wurden, ist ein Nebeneffekt der Affäre um die beiden in den USA beschlagnahmten Schiele-Bilder der Sammlung Leopold. Mindestens eines davon, "Tote Stadt III", ist blütenweiß: Es wurde nach dem Krieg von der Schwägerin des im KZ umgekommenen Kabarettisten und Schiele-Sammlers Fritz Grünbaum nach Bern verkauft und von Rudolf Leopold in New York erworben.

Die Affäre brachte aber einen Stein ins Rollen. Die Kunstwerke ungeklärter Herkunft in österreichischen Museen konnten nicht länger ignoriert werden. Ministerin Elisabeth Gehrer wies die Direktoren an, ihr Archivmaterial zu sichten und die Herkunft der Erwerbungen zu untersuchen. Bettina Looram Rothschild, das einzige nach dem Krieg zurückgekehrte Mitglied der Familie, faßte neuen Mut, "Schenkungen" rückgängig machen zu können, die das Ergebnis glatter Erpressung waren.

Es mag Entschuldigungen für das Verhalten der Beamten in der NS-Zeit geben: Den Kunstraub konnten sie nicht verhindern, und möglichst viel in ihr Haus zu holen, könnte sogar im Hinblick auf eine spätere Rückgabe versucht worden sein. Ist es aber nicht, wie ihr späteres Verhalten sowie das einiger anderer zeigt. Thomas Trenkler führt sie vor. Ihre dienstlichen Briefe entlarven sie. Man sieht sie direkt bibbern angesichts der Chance, zwei besonders exquisite Porträts von Frans Hals fürs Museum zu "retten". Die Ähnlichkeit des Tons, das gleiche Vibrato der Gier in der Nazizeit und nachher. Semantische Köstlichkeiten. Die Originalzitate machen den Reiz des Buches aus. Da wird die NS-Ära nicht als Zeit des Hasses und Fanatismus, sondern der kleinen und großen Raubzüge lebendig. Das Regime ging unter, die Besitzgier blieb.

1938 geht es um einen möglichst großen Happen der Beute. Nach dem Krieg liegen die wichtigen Kunstwerke noch in den bombensicheren Salzstollen, doch was die Beamten einander schreiben, atmet den Brustton der Überzeugung: Was ein Museum einmal hat, das kann man ihm doch nicht einfach wieder wegnehmen, wo kämen wir denn da hin. Daß die Ausfuhr einen "schweren Verlust f. d. österr. Kunstbesitz" darstellen würde, lesen wir da, daß aber "von einer allzu rigorosen Handhabung des Ausfuhrverbotes" im Hinblick auf die amerikanische Besatzungsmacht abzusehen sei. Daß "der Sammlung mit einer Leihgabe, wenn sie nicht als dauernd für alle Zeiten gebunden ist, verhältnismäßig wenig gedient sei", schreibt einer dem anderen, und daß "im Falle es sich um Leihgaben handelt, meine Liste erheblich vermehrt werden müßte." Und daß die "Gegenvorschläge der Baronin ... mir unannehmbar erscheinen, da die überreichte Liste ... den Hals und den Metsu nicht enthält." Sie "stärken" einander "den Rücken", aber auf den Sinzendorf könne man allenfalls verzichten, der sei "ein sehr pompöses, ich möchte sagen, ein protziges, und daher auch bißchen ein leeres Bild".

Stolz verweisen sie darauf, daß der Wert der Schenkungen dank ihrem Verhandlungsgeschick viel höher ist als die im Kunstausfuhrgesetz von 1926 vorgesehenen zehn Prozent. Wie das später alles unter den Teppich gekehrt und in "großherzige Schenkungen" umgelogen wurde, das ist schon beeindruckend. Orangerote Punkte unter den Werken zeigen derzeit im Kunsthistorischen Museum das Ausmaß der Erpressung an.

Der Fall Rothschild. Chronik einer Erpressung Von Thomas Trenkler, Molden Verlag, Wien 1999, 150 Seiten, geb., öS 228,- Das verlorene Museum. Vom Kunstraub der Nazis Von Hector Feliciano, Aufbau Verlag, Berlin 1998, 272 Seiten, Fotos, geb., öS 364,-

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