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ALPHONS LHOTSKY EIN ÖSTERREICHISCHER HISTORIKER

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Der Historiker Alphons Lhotsky ist in der Nacht vom 21. auf den 22. Juni 1968 in Wien gestorben.

In der Saturiertheit der sechziger Jahre kann man sich Not und Bedrängnis der Zeit nach dem ersten Weltkrieg kaum vor stellen. Hatte einer sein Studium abgeschlossen, so stellte jeder Hinterhofschreibtisch, jeder subalterne Posten bei einem Amt oder einer Behörde ein Geschenk des Himmels für ihn dar. Alphons Lhotsky konnte sich mit einer Anstellung im Kunsthistorischen Museum mühsam sein Brot verdienen. Harte Jahre prägten das Bild des Menschen, der unterwürfig, ja devot blieb, auch als er in wissenschaftlicher Rangordnung schon obenan stand.

Diese harten Jahre boten aber Möglichkeiten zum Studium, wie sie unsere hektische Zeit kaum kennt. In der Geschichte der Sammlungsobjekte, der Kunstbestrebungen und Kunstförderungen des Kaiserhauses fand Lhotsky ein unerschöpfliches Material. Er erreichte — und dies ist symbolisch für ihn — ein sechs Jahrzehnte zuvor gestecktes Ziel, Träger einer Tradition, Hüter und Vollender. Mit der Herausgabe des Jahrbuchs der kunsthistorischen Sammlungen des allerhöchsten Kaiserhauses hatte man von Anfang an die Publikation einer (in diesem Umfang noch niemals in kunstwissenschaftlichen Dingen veröffentlichten) Regestensammlung beabsichtigt. In zäher Arbeit, im Zusammenwirken von Archivaren, Kustoden und Forschern, wurde Quellenmaterial des In- und Auslandes aufbereitet, um daraus dereinst eine Zusammenschau der Kunstförderung durch die Habsburger zu schaffen. Das Herrscherhaus hatte Österreich verlassen, die Staatengruppe war zerfallen. Das Unternehmen war eingestellt — die Jahrbücher erschienen als neue Folge ohne Regestenanhang unter dem Titel Jahrbuch der kunsthistorischen Sammlungen — das Projekt schien vergessen. Aber in der Person des jungen Historikers, der aus der Schule des Instituts für österreichische Geschichtsforschung hervorgegangen war, fand sich derjenige, der die Mosaiksteinchen zum Bild zusammenfügte. 1941 erschien die Baugeschichte der Museen und der Neuen Burg, die erste Detailuntersuchung moderner Form für eine Bautengruppe der Wiener Ringstraße, in den folgenden Jahren, auf schlechtem Papier gedruckt, folgte die erste Hälfte des zweiten Teiles der Festschrift, die Geschichte der Sammlungen. Das Werk, das nach dem zweiten Weltkrieg mit dem Ausdruck der zweiten Hälfte (1949) seinen Abschluß fand, enthält viel mehr, als der nüchterne Titel verrät. Es ist eine Kulturgeschichte Österreichs, eine farbige Schilderung aller Herrscherpersönlichkeiten, eine Übersicht über ihre Interessen, ihre Sam- melbestrebungen, eine Geschichte der Gebäude, in denen Schatz-, Kunstkammer, Naturhistorisches Kabinett usw. jeweils untergebracht waren.

Als 1945 wieder jemand Österreichische Geschichte an der Wiener Universität lehren sollte, da fiel die Wahl auf Alphons

Lhotsky. Es war sätne Sternstunde — vielleicht wäre es ihm im bürokratischen Getriebe unserer Tage nicht möglich gewesen, die Stelle zu erreichen, in der er Aufgabe und Erfüllung fand. Zwanzig Jahre hindurch hat er Generationen junger Historiker gelehrt, österreichische Geschichte von seiner Warte aus zu sehen. Die strenge Schulung des Historikers im „Institut“ hat er gefördert und gefordert, er selbst hat sie mit außerordentlicher Akribie in seinen Editionen angewendet. Daß er sich den Geschichtsschreiber des 15. Jahrhunderts Thomas Ebendorfer als zentrales Forschungsthema erwählte, daß ihn die so eigenartige Figur Friedrichs III., mit dessen Tagebuch und Devise (AEIOV) er sich beschäftigt hatte, so fesselte, das beweist wiederum, wie sehr ihm österreichisches Wesen gemäß und adäquat war. Ohne viel Aufhebens, aber mit genauer innerer Registrierung aller Für und Wider, mit Liebenswürdigkeit jeden Sarkasmus und jede Schärfe tarnend, aber Individualist und Individualität, die allein in einsamer, aufreibender Arbeit zu ergründen, zusammenzufassen und sprachlich zu gestalten versuchte — fernab jedem Teamwork. Und die (von Schülern und Kollegen gefürchtete) Selbstkritik ließ ihn fertige Manuskripte vernichten, neu fassen und formen, ließ ihn oft erst mit der dritten oder vierten Version zufrieden sein. Und wo kein harter äußerer Druck dahinterstand, da kam das Werk nicht zum Abschluß — die italienische Geschichte zum Beispiel.

Aber der stille Gelehrte hatte feinfühlig Verständnis für seine vielen, vielen Vorläufer, mit denen er sich über Zeit und Raum verbunden fühlte. Die Geschichte der Wissenschaft, die Geschichte der Artistenfakultät ebenso wie der Werdegang des Instituts für österreichische Geschichtsforschung fanden in ihm einen unübertrefflichen Darsteller.

Dem unbelasteten Studenten bei Prüfungen unheimlich, vermochte er seinen Schülern in Gesprächen oft deutlich zu machen, mit welchen Problemen er sich gerade beschäftigte. Vor der Abschlußprüfung des zweijährigen Institutskurses war er so aufgeregt wie die Kandidaten und grübelte über Themen und Fragen, nur um ja jedem gerecht zu werden. Und relativ selten nur, anfangs mit spürbarem Unbehagen, hielt er den Festvortrag bei einem Kongreß oder Historikertag. Er vermißte dabei die gewohnte Umgebung „seiner“ Hörsäle und dazu kam noch die Abneigung gegen Reisen jeder Art. Erzählungen von einer Bahnfahrt (nach Klosterneuburg oder, einer Weltreise vergleichbar, nach München) klangen aus seinem Mund wie Expeditionsberichte in unerforschtes Land. Lhotsky hatte wenig Vertrauen zur Technik und, leider, zur Medizin. Er tat seine Schmerzen ab wie lästige Wehwehchen und verbat sich den Eingriff von Fremden. Vielleicht kam dadurch die heilende Hand des Arztes zu spät.

Ein offizielles Begräbnis als Mitglied der Akademie der Wissenschaften hat Lhotsky ausdrücklich abgelehnt, Ehrungen und Nachrufe sollten unterbleiben. Mit erhobenem Zeigefinger wird er — schmunzelnd — die Nichtbeachtung seines Wunsches aufmerksam registrieren. Er möge in Frieden ruhen, sein Werk aber möge Anregung und Ausgangspunkt sein für viele, die dem Problem Österreich in seiner Vielschichtigkeit nahekommen wollen, die auf dem Gebiet historischer Quellenforschung über die nüchternen Aufzeichnungen hinaus Leben und Farbe suchen. Das Abbild der Wirklichkeit in der Geschichte ist nicht Abstraktion, sondern Sublimat von Leben und Persönlichkeit, Kulturleistung und Kunstsinn.

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