Skifahren - © Foto: Pixabay

Behringers Gespür für Schnee

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Zur Ski-Weltmeisterschaft in Schladming: Der Klimahistoriker Wolfgang Behringer über den kapitalen Wandel des Skisports, das Element Schnee und seinen Feind - die Erderwärmung.

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Zur Ski-Weltmeisterschaft in Schladming: Der Klimahistoriker Wolfgang Behringer über den kapitalen Wandel des Skisports, das Element Schnee und seinen Feind - die Erderwärmung.

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Wolfgang Behringer ist Historiker an den Universitäten Saarbrücken und York (GB). Er schrieb eine "Kulturgeschichte des Klimas“ und veröffentlichte 2012 die "Kulturgeschichte des Sports“. Ein Gespräch über Erderwärmung, die Ski-WM in Schladming und die Philosophie des Schnees.

Die Furche: Darf ich mit einer vielleicht etwas seltsamen Fragen beginnen? Sie sind Klimaforscher und Experte in Sachen Schnee und Gletscher. Sind Sie in einer Stadt aufgewachsen, ein Stadtkind also?

Wolfgang Behringer: Ein reines Stadtkind. Warum fragen Sie?

Die Furche: Es geht um eine Stelle in Thomas Manns "Zauberberg“, in der er die Wirkung von Schnee und Natur auf den Menschen beschreibt. Da heißt es: "Das Kind der Zivilisation, fern (…) der wilden Natur, ist ihrer Größe viel zugänglicher als ihr rauher Sohn, der von Kindesbeinen an auf sie angewiesen in nüchterner Vertraulichkeit mit ihr lebt. Dieser kennt kaum die religiöse Furcht, mit der jener, die Augenbrauen hochgezogen, vor sie tritt.“ Da Sie Klimaforscher sind, dachte ich, sie hätten die Ehrfurcht des Stadtkindes.

Behringer: (lacht) Ja, ich bin in München-Schwabing aufgewachsen. Damals gab es dort aber noch Schnee in Hülle und Fülle, ganze Haufen, in die man sich rücklings hineinfallen lassen konnte. Das gibt es heute kaum noch. Der Zauber des Schnees ist irgendwie verschwunden. Aber zurück zur Naturfaszination des Menschen: Sigmund Freud hat darüber einmal mit Romain Rolland diskutiert. Rolland behauptete, angesichts der großen Natur empfinde der Mensch das Kosmische und dass es ein höheres Wesen gebe. Worauf Freud trocken erwiderte, dass er selbst die Natur zwar liebe, aber nie etwas Kosmisches dabei empfunden habe. Manche sind da also empfänglicher, andere eher pragmatisch.

Die Furche: Der Zugang der Poeten ist, dass Schnee die Welt in Stille versetzt und dem Menschen die Selbstversenkung und höhere Erkenntnis ermöglicht.

Behringer: Es ist auch psychologisch erwiesen, dass eine Woche Urlaub im Schnee soviel Erholung bietet, wie zwei Wochen am Strand. Das hängt mit der Dämpfung der Geräusche und der Konzentration auf Weiß- und Grautöne zusammen. Es gibt keine Reizüberflutung. Da nimmt man dann den Augenblick intensiver wahr.

Die Furche: Was sich drastisch ändert, sobald Schnee in Kontakt mit Kommerz kommt. Die Ski-WM in Schladming liefert dafür eindrückliche Beweise. Ist es nicht so, dass es heute statt der Weichheit und Meditation einen harten, relativ gesundheitsgefährdenden Konkurrenzkampf gibt?

Behringer: Der Schnee und der Sport, den man damit verbindet, sind zum künstlichen Environment geworden. Man hat das romantische Wilde der Natur zu wirtschaftlichen Zwecken domestiziert und in eine Arena verwandelt. Dadurch ist das Skifahren eine Freizeitbeschäftigung wie jede andere geworden. Denken Sie sich aber Skifahren ohne Lift und andere Aufstiegshilfen. Bis in die 1960er Jahre hinein hieß Ski fahren, dass man mit dem Fahrrad ins Gebirge fuhr, dann zu Fuß aufstieg und durch Tiefschnee abfuhr, um dann mit dem Fahrrad wieder in die Zivilisation zurückzukehren. Das war irgendwie heroischer und urtümlicher.

Die Furche: Es gibt eine Anleitung zum Skifahren des Wiener Skiverbandes aus dem Jahr 1889, da heißt es: "Bei der Abfahrt lehnt sich der Skiläufer auf den Stock zurück, schließt die Augen und schießt gerade wie ein Pfeil ins Tal hinab. Er fährt so lange, bis er nicht mehr atmen kann. Dann wirft er sich seitwärts in den Schnee und wartet, bis er wieder zu Atem gekommen ist.“

Behringer: (lacht) Hochrisiko eben. Heute besteht das Hauptrisiko des Wintersports darin, dass man auf dem Weg zum Skilift im Verkehrsstau stecken bleibt. Aber ist es nicht erstaunlich? Jetzt, wo man die Natur vollkommen unter Kontrolle zu haben glaubt, wo wir es gewohnt sind, von November bis Ostern gleichbleibenden Schneegenuss geliefert zu bekommen, und das gesamte Umfeld sich der menschlichen Unterhaltungs- und Konsumgesellschaft perfekt angepasst hat - ausgerechnet jetzt zieht sich der Schnee zurück.

Die Furche: Umso erstaunlicher ist es doch, dass wir uns rein wissenschaftlich in einer Eiszeit befinden, nicht?

Behringer: Eine Eiszeit wird damit definiert, dass die Polkappen vereist sind. Die kleine Eiszeit vollzog sich ab dem Spätmittelalter bis ins 19. Jahrhundert. Ende des Jahrhunderts findet man ja Aufzeichnungen, wonach die Themse zugefroren ist oder auch die großen Alpenseen. Sonst war das nur noch 1963 der Fall. Seit den 1970er Jahren haben wir jedenfalls eine spürbare Erwärmung.

Die Furche: Sie schreiben, dass die Menschen in den 1960er Jahren noch Angst vor einer neuen Eiszeit hatten, bevor sie Angst vor der Klimaerwärmung bekamen?

Behringer: Tatsächlich gab es eine kurzfris-tige Kälteperiode zwischen 1950 und 1978. Das könnte mit der Luftverschmutzung zu tun gehabt haben. Dass nämlich die Russpartikel das Sonnenlicht von der Erdoberfläche ferngehalten haben, durch eine Art Grauschleier. Erst mit der Umweltpolitik und der Reinigung der Abgase hat sich die Anreicherung der Atmosphäre mit Treibhausgasen ergeben, die zu einer Erwärmung geführt hat. Grundsätzlich wird unter Klimaforschern aber diskutiert, ob die von Menschen induzierte Klimaerwärmung nicht den Beginn einer neuen Kälteperiode verschleiert.

Die Furche: Was wäre dem Menschen eher zuträglich. Die Kälte oder die Wärme?

Behringer: Ich glaube nicht, dass die Menschen wirklich gut an die Kälte angepasst sind, obwohl behauptet wird, dass die Menschen die Kinder der Eiszeit sind. Ich würde sagen, dass die Kultur immer stärker aufgeblüht ist, wenn wärmere Zeiten waren. Mit Sicherheit kann man das von der Bronzezeit und der Römerzeit sagen und für die hochmittelalterliche Warmzeit mit dem Landesausbau. Ich persönlich finde es zu kalt.

Die Furche: Aber in Saarbrücken gibt’s doch ohnehin keinen Schnee.

Behringer: Manchmal schon. Überhaupt ist der mitteleuropäische Mensch geradezu geprägt von der Mühe des Schneeschaufelns. Ich selbst auch. Ich hatte beispielsweise mehrere Jahre einen Lehrstuhl in Großbritannien. Wir haben uns dort auch ein Haus gekauft. Während der Kaufverhandlungen habe ich dann die kleinen Wege rund um das Grundstück gesehen und den Vorbesitzer sofort gefragt, wie denn das rechtlich mit dem Schneeräumen ist. Sie können sich vorstellen, wie verwundert der mich angesehen hat. Schnee in England!

Die Furche: Da stelle man sich vor, wie zufrieden Johannes Kepler gewesen sein muss, als er in Prag am Neujahrstag 1611 zu seinem Freund Wacker von Wackerfels stapfte, um ihm die physikalische Form des Schnees zu enthüllen. Warum Schnee also in sechseckigen Kristallen zur Erde fällt.

Behringer: Dazu muss man sagen, dass es 1611 noch nicht einmal ein Mikroskop gab. Es hat auch über 200 Jahre gedauert, bis seine Theorie bestätigt wurde.

Die Furche: Der Satz scheint ja auch äußerst kompliziert: "Keine Ansammlung gleichgroßer Kugeln weist eine höhere Dichte auf, als kubisch flächenzentrierte hexagonale“. Ein US-Mathematiker hat 2003 angekündigt, den Beweis dafür in eine Formel zu gießen - dafür aber 20 Jahre brauchen wird. Wird es 2023 aber überhaupt noch Schnee geben?

Behringer: Sicher. In Norwegen oder Alaska wird man Ski fahren. In den Alpen könnte es exklusiver werden. Eher kommen dann Schneestürme, Blizzarde. Es wird also Schnee geben, aber irren Schnee. Jedenfalls so, dass die Leute sagen werden, so etwas habe es noch nie gegeben. Ein japanischer Physiker, Ukichiro Nakaya, hat einmal gesagt, Schneeflocken seien Briefe aus dem Himmel. Insoferne werden das dann keine Briefe mehr sein, sondern Paketsendungen.

Die Furche: Werden Sie sich die Ski-WM ansehen?

Im Fernsehen. Meine Überzeugung ist ja, dass da sehr viele Deutsche mitmachen und am Ende die Österreicher immer vorne sind.

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