Das Warten auf zwei Staaten
1974 verleibte sich die Türkei den Norden Zyperns ein. Der Konflikt schwelt immer noch, und die Aussichten auf eine Lösung sind mehr als düster.
1974 verleibte sich die Türkei den Norden Zyperns ein. Der Konflikt schwelt immer noch, und die Aussichten auf eine Lösung sind mehr als düster.
Ein Land mit dem Namen "Zypern" anerkenne er nicht. Das meinte kürzlich der türkische Regierungschef Recep Tayyip Erdogan. Die Empörung in dem EU-Mitgliedsland war groß. Anlass von Erdogans Aussage: Ein Rückführungsabkommen mit der EU, um Flüchtlinge, die via Türkei in die EU gelangen, zurückzuschicken. Erdogans Fauxpas spiegelt die negative Spannung wider, die zwischen den traumatisierten Zyprioten und dem riesigen Nachbarland herrscht.
Erdogan ist gerade mal zehn Jahre alt, als die UNO 1964 erstmals Friedenstruppen nach Zypern entsendet. Die beiden Ethnien leben auf dem gesamten Gebiet verstreut: die griechischen Zyprioten im Norden und im Süden, die türkischen Zyprioten im Süden und im Norden. Es kommt zu Zusammenstößen zwischen den beiden Volksgruppen. Die Türkei besetzt 1974 den Norden der Insel.Die UNO verabschiedet im November 1974 eine Resolution, wonach u. a. fremde Truppen sofort von der Insel-Republik abziehen und alle Flüchtlinge in Sicherheit in ihre Häuser zurückkehren können sollen. Kurt Waldheim, seit 1972 UN-Generalsekretär, leitet in Wien von 1975 bis 1976 fünf Verhandlungsrunden. Doch die Fronten verhärten sich. Die Frage der Rückgabe von enteigneten Grundstücken an Griechen-Zyprioten etwa ist bis heute nicht vollständig geklärt. Ende 1983 ruft Rauf Denktash im besetzten Gebiet die "Türkisch-Zypriotische Republik von Nordzypern" aus. Die Teilung der Insel ist damit besiegelt. Die Vereinten Nationen, die Europäische Gemeinschaft und der Commonwealth üben heftige Kritik. Der Europarat verurteilt vor allem die Menschenrechtsverletzungen.
Die Beinahe-Lösung 2004
Im europäischen Wende-Jahr 1990 stellt die Republik Zypern ihr Beitrittsgesuch an die EU (die Türkei tut dies bereits 1987). In den Verhandlungen um Aufnahme in die EU spielt die Lösung des "Zypern-Problems" ebenfalls eine Rolle. Die Gespräche zwischen der griechisch-zypriotischen und der türkischen Gemeinschaft gewinnen wieder an Fahrt. Als Datum für die große EU-Erweiterungsrunde um zehn Länder, darunter Zypern, wird der 1. Mai 2004 fixiert. Eine Woche davor findet in beiden Insel-Teilen getrennt die Volksabstimmung über den Plan von UN-Generalsekretär Kofi Annan zur Wiedervereinigung, zur "Vereinten Republik Zypern", statt. Der Annan-Plan wird mit Zwei-Drittel-Mehrheit abgelehnt: 65 Prozent der türkischen Zyprioten votieren dafür, die Griechen-Zyprioten mit 76 Prozent dagegen.
Politische Fehler-Analyse
Im Nachhinein ist man bekanntlich klüger. Viele meinen daher, vor der Lösung des Zypern-Problems hätte die Insel nicht in die EU aufgenommen werden dürfen. Was die EU-Bestrebungen der Türkei betrifft, so ist die militärische Besetzung der Insel einer der Gründe dafür, dass die Verhandlungen Ankaras mit Brüssel nicht vorankommen. Von einem Truppen-Abzug wollte der türkische Ministerpräsident Erdogan bei seinem jüngsten Treffen mit den EU-Spitzen vergangene Woche in Brüssel nichts hören. Er ersuchte seinerseits die EU-Institutionen, Druck auszuüben, damit Nikosia sein Veto gegen die Beitrittsverhandlungen mit Ankara aufhebt. Schließlich möchte der innen-wie außenpolitisch angeschlagene Erdogan im Sommer die Präsidentenwahlen gewinnen. In der Realität seien ohnehin die USA und Großbritannien entscheidend -und wie weit die EU mit der derzeitigen Türkei gehen wolle, sagt ein ehemaliger Mitarbeiter der EU-Kommission in Zypern. Die UNO sei irrelevant. Diesen Eindruck bestätigte Staatschef Nicos Anastasiades, der die Präsidialrepublik Zypern de facto regiert. Er traf sich im Jänner mit dem britischen Premier David Cameron in London, just zu der Zeit als sich UN-Sondergesandter Alexander Downer auf der Insel einfand. Ankara schwebt für Zypern eine Föderation aus zwei Staaten vor.
Für die EU dagegen ist klar, dass die Republik Zypern als Mitgliedsland die gesamte Insel repräsentiert. Wenngleich im besetzten Norden das EU-Recht nicht in Kraft getreten ist.
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