6745101-1967_05_06.jpg
Digital In Arbeit

Kein Bundesgenosse für Krag!

Werbung
Werbung
Werbung

Kameraleute und Karikaturenzeichner haben es oft leichter als Auslandskorrespondenten, denen als Instrument für die Übermittlung ihrer Eindrücke und Gedanken nur die Schreibmaschine zur Verfügung steht; es gibt wohl kaum einen von ihnen, der das nicht schon mit einem leisen Gefühl des Neides festgestellt hätte. Die dänischen Parlamentswahlen, und das, was ihnen folgte, lieferten dafür einige Beispiele: Eines der besten Bilder, die uns in der Presse begegneten, zeigte einen müden und abgekämpften Regierungsmacher Jens Otto Krag, der nach dem Zusammenbruch langer Verhandlungen mit einer resignierenden Geste vom gleichfalls todmüden Axel Larsen Abschied nimmt, während ihm dieser Führer der dänischen Linkssoziialisten ermutigend und bedauernd zugleich auf die Schulter klopft: „Tut mir leid, mein Junge, doch: Kopf hoch! Irgendwie wird es schon weiter gehen!“ — So unbarmherzig enthüllend kann nur die Kamera sein!

Ein siegreicher Verlierer?

Die dänische Sozialdemokratie machte ihre schlechteste Wahl seit dem Durchbruch der Demokratie in diesem Lande. Sie verlor sieben Mandate und liegt nur um gut einen Prozent aller Wählerstimmen unter dem Stand ihrer Wahl von 1950, dem bisher „absoluten Tief“ in der Nachkriegszeit. In Kopenhagen verlor die Partei sogar 8,2 Prozent, während Axel Larsens Sozialistische Volkspartei 10,5 Prozent gewinnen konnte. Wohlgemerkt: 10,5 Prozent der Gesamtwählerzahl zusätzlich zum bisherigen Stand! Das Urteil der Wähler war völlig eindeutig. Keiner der Vorgänger Jens Otto Krags, weder Kampmann, noch H. C. Hansen noch Hans Hedtoft wäre nach einer solchen Wahl Regierungschef geblieben!

Unmittelbar nach der Wahlnacht bezeichnete man Krag, erfüllt von Überraschung und Erstaunen, als den siegreichsten Verlierer, den eine dänische Wahl jemals hervorgebracht hat. Wohl hatte die Arbeiterpartei sieben Mandate verloren, doch alle ihre denkbaren Bundesgenossen hatten Stimmen und Mandate gewonnen: Das kleine liberale Zentrum, dessen zwei Abgeordnete die Regierung unterstützt hatten, konnte zwei Mandate gewinnen; die Sozialliberalen (Radikale Venstre, eine linksbürgerliche Partei), erhöhte von zehn auf dreizehn Mandate und die Linkssozialisten gar von 151.000 auf 304.000 und von zehn auf zwanzig Mandate. Das Parlament besaß zum erstenmal — und völlig unerwartet! — eine Linksmehrheit. Die Sozial-liberalen rechnet man zwar formell zu den bürgerlichen Parteien, in so mancher wichtigen Frage stehen sie aber links von der Sozialdemokratie. Zu dieser starken Linksgruppe werden außerdem etwas später noch zwei Abgeordnete von Grönland und den Faer-Öer-Inseln kommen. Die Chancen Krags, eine tragfähige Mehrheit zustande zu bringen, schienen also sehr gute zu sein. Zwei Tage später wußte man jedoch, daß diese Rechnung nicht aufgegangen war.

Die ersten Absagen kamen vom Liberalen Zentrum und von den Sozialliberalen, die in keine Koalition eintreten wollten, in der unter allen Umständen die sozialistischen Parteien eine entscheidende Rolle spielen mußten. Krag wandte sich an die Sozialistische Volkspartei — und drei Tage später brach mit einem müden Schlag auf seine Schulter auch diese Hoffnung zusammen. Wieso konnten sich die beiden Parteien die Gelegenheit entgehen lassen, zum erstenmal in der Geschichte Dänemarks eine sozialistische Majoritätsregierung auf die Beine zu stellen?

Vier Bedingungen

Anstatt in dieser Situation der SF Axel Larsens einige klar umrissene Zugeständnisse zu machen — es handelte sich ja dennoch darum, einer neuen Regierung Krag eine festere Grundlage zu geben! — stellte die Parlamentsfraktion der Sozialdemokraten für die Aufnahme der SF in diese Regierung vier Bedingungen:

• Die. Sozialistische Volkspartei erkennt die bisher geführte Außenpolitik an und verpflichtet sich, sie zu vertreten.

• Das im Frühjahr abgeschlossene Wohnungsabkommen bleibt weiter in Kraft, wird jedoch durch ein Gesetz ergänzt, das die schweren sozialen Folgen des Abkommens etwas mildern soll.

• Einführung einer Mehrwertssteuer von 10 Prozent und Einführung der Besteuerung an der Quelle.

• Eine Art Garantie den: SF, die Regierung wegen ihres im Vorjahr abgeschlossenen Übereinkommens (mit den bürgerlichen Parteien) über eine Generallinie für die Lösung der großen Wirtschaftsprobleme nicht zu sprengen uinid eine Generallosung dieser Probleme anzusteuern.

Betrachtet man nun die Hauptforderungen der SF, wie sie vor den Wahlen aufgestellt worden waren, dann findet man unter ihnen genau dieselben Punkte: Beseitigung des Wohnungsabkommens, das die Mieten außerordentlich erhöht hat, Uberprüfung der außenpolitischen Verpflichtungen Dänemarks, Abbau des Steuerdruckes auf die minderbemittelten Schichten der Bevölkerung, Abbau der Militärlasten! Die Verhandlungsdelegationen der beiden Parteien konnten in einer Reihe von Fragen einander näherkommen, doch in den Hauptfragen hatten sie diametral entgegengesetzte Auffassungen. Vor allem lehnte die Arbeiterpartei die Herabsetzung der Militärausgaben um 800 Millionen Kronen konsequent ab, da sie bei einer solchen Reduzierung der Mittel die ihr durch die Mitgliedschaft in der NATO auferlegten Verpflichtungen nicht mehr hätte erfüllen können! Die Bindung an die NATO erwies sich als fester als die Bindung an eine Wählergruppe, die zu mindestens 80 Prozent aus ehemaligen — oder nur zufällig protestierenden — Sozialdemokraten bestand!

Ein interessantes Nebenergebnis dieser Verhandlungen war, daß sich Krag und Axel Larsen in diesen Tagen immer näherkamen und anscheinend einen Teil jenes Mißtrauens abstreifen konnten, das ihnen den anderen bisher so unheimlich und gefährlich hatte erscheinen lassen. Krag war weit eher als seine Fraktion geneigt, die Brücken zur SF nicht vorzeitig abzubrechen, und Axel Lausen kämpfte in seiner jungen, plötzlich so erstarkten Fraktion bis hart an die Parteispaltung für eine Koalition mit den Sozialdemokraten und ging dabei so weit, zu erklären, daß man die Entscheidung über die Mitgliedschaft in der NATO ruhig auf einen späteren Zeitpunkt verschieben könnte. Wenn irgendwer, dann weiß es Larsen, wie wenig man die in einer frisch-fröhlichen Oppositionssituation oder in den Studienzirkeln der Partei formulierten Meale durchsetzen kann, wenn man erst einmal in eine verantwortliche Position gelangt ist. Die ermunternden Worte an Krag beim Abschied waren mehr als nur eine inhaltslose Geste!

Vorsicht vor Freund und Feind

Am Abend des 28. November hatte Krag sein neues Minderheitskabinett gebildet — ohne Hilfe der Linkssozialisten, ohne irgendwelche Zusagen von seilen der Soziailibera-len, ohne das Liberale Zentrum, begleitet von schadenfrohen Kommentaren der Liberalen und der Konservativen, und unter hörbarem Murren aus dem Lager der Gewerkschaften, die auf eine sozialistische Regierung gehofft hatten! Und in diesem Kabinett fehlt auch Per Haekkerup, der frühere Außenminister, auf dessen leidenschaftlichen Widerstand es in erster Linie zurückzuführen ist, daß Larsen außerhalb der Regierung und Dänemark innerhalb der NATO geblieben ist. Haekkerup ist der entschiedenste Fürsprecher einer weiteren NATO-

Mitgliedschaft. Seine ebenso dynamische wie unberechenbare Politik hat die Regierung schon wiederholt vor fertige Tatsachen gestellt, mit denen sie dann unter großen Schwierigkeiten weiter auf schwer überschaubaren Pfaden weiterwandeln mußte. Mit allen nordischen Nachbarländern hat es deswegen in der letzten Zeit ernsthafte Meinungsverschiedenheiten gegeben. Nun wurde Haekkerup ausgebootet, hat jedoch die Führung der sozialdemokratischen Parlamentsfraktion übernommen. Im letzten Abschnitt des Wahlkampfes hatten ihm nahestehende Gruppen der Arbeiterpartei ziemlich laut den Rücktritt Krags und seine Ersetzung durch Haekkerup gefordert. Der Staatsministerposten scheint für Haekkerup zur Zeit unerreichbar, doch der Vorsitz der Parlamentsgruppe kann ein ausgezeichneter Ausgangspunkt für kommende Vorstöße sein. Krag, der nun auch die Aufgaben des Außenministers übernommen hat, wird es in der nächsten Zeit nicht leifht haben.

Ruf nach der stabilen Mehrheit

Nach einigen Wochen der Alleinregierung hat die Fraktion der Arbeiterpartei allen Anlaß, ihre Stellung zu einer Regierungsbeteiligung der Sozialistischen Valkspartei von neuem zu überprüfen. Deutlicher noch als unmittelbar nach der Wahl ist erkennbar, daß man sich im Parlament eine stabile Mehrheit schaffen muß. Die forschenden Blicke gehen von neuem zu den Volkssozialisten und zu den beiden kleinen bürgerlichen Mittelparteien.

Axel Larsen gab zu Neujahr in einem Gespräch mit Journalisten unumwunden zu, daß er bereit ist, sogar eine Mitgliedschaft Dänemarks in der NATO zu akzeptieren: „Man spricht ja nun allgemein davon“, sagte er, „daß die NATO zu einem Instrument der Zusammenarbeit zwischen West und Ost werden soll. Unter diesen Umständen sehe ich gar nicht ein, warum eine NATO-Mit-gliedschaft den Nachtschlummer irgendeines Bürgers stören könnte!“

Und die Frage der Zusammenarbeit mit der Arbeiterpartei?

„Hier gibt es zweifellos innerhalb der Arbeiterpartei noch stärkere Bedenken als bei uns, obwohl auch mancher Linkssozialist vor einer solchen Möglichkeit noch zurückschrek-ken mag. Doch es ist durchaus realistisch, sich vorzustellen, daß sich die Volkssozialisten mit den Sozialdemokraten in einer Regierungszusammenarbeit finden können, und ich halte es nicht einmal für ausgeschlossen, daß dies bald geschehen könnte!“

Offenbar sind die Volkssozialisten bereit, den Sozialdemokraten zu einer solchen Zusammenarbeit goldene Brücken zu bauen, es liegt nun an Jens Otto Krag und seinen Freunden, ob sie diese Brücke betreten wollen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung