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25 Jahre nach Bekanntwerden des HI-Virus' herrschen in Österreich noch immer Vorurteile und Diskriminierung vor. Aber auch heterosexuelle Hausfrauen können an der "Schwulenkrankheit" sterben.

In Sachen Aids ist Österreich ein Land der Mythen: Die Meinung die Infektion mit dem HI-Virus und die nachfolgenden Erkrankungen könne nur homosexuelle Männer treffen, oder die Ansteckung sei nur im Drogenmilieu möglich, ist hierzulande noch weit verbreitet. Es kann nicht oft genug gesagt werden, dass eine HIV-Infektion jeden treffen kann. Es kommt nicht auf Alter, Geschlecht oder sexuelle Neigung an. Ausschlaggebend ist nur der Umgang mit der eigenen Sexualität.

Die Reduzierung des Problems auf Randgruppen ist gang und gäbe. Manchmal kommt es bei kranken Frauen im Alter von 45 Jahren bereits zu medizinischen Komplikationen, bis endlich auch ein HI-Antikörper-Test gemacht wird. Der Aids-Test wird erst so spät gemacht, weil die heterosexuelle Hausfrau und Mutter mit Ehemann und Einfamilienhaus einfach nicht ins Schema passt. Nicht in die Schublade Aids passen und doch HIV positiv sein: Eine österreichische Realität, vor der noch viel zu viele Menschen die Augen verschließen.

Die Wahrheit

Die Wahrheit ist, dass sich 2005 großteils heterosexuelle Frauen im Alter zwischen 20 und 30 Jahren mit Aids infiziert haben. Homosexuelle Männer scheinen in der Statistik der betreuten Menschen der Aids Hilfe Wien nur mit 30 Prozent auf. Aids ist keine Schwulenkrankheit. Auch wenn beim Bekanntwerden vor 25 Jahren vor allem Menschen mit homosexueller Neigung daran starben - heute gilt das nicht mehr. "Die Leute leben nicht so monogam, wie sie oft sagen", ist Sylvia Gabriel, Leiterin der Betreuungsabteilung der Aids Hilfe Wien, überzeugt. Vor allem Männer im Urlaub zählen zu den Kondom-Verweigerern: Laut den AIDS-Hilfen Österreich verwendet nur jeder fünfte Mann auf Reisen oder im Urlaub beim Sexualverkehr ein Präservativ. Weltweit gesehen resultieren mehr als 70 Prozent der HIV-Infektionen aus Sex zwischen Männern und Frauen.

Ein weiterer Mythos ist jener, dass der bloße Kontakt mit HIV-Positiven zur Übertragung des Virus führen kann. Bei medizinisch nicht geschulten Menschen mag diese Meinung ja vielleicht noch akzeptiert werden. Ein Arzt sollte allerdings keine Scheu im Umgang mit Aidspatienten zeigen. Weit gefehlt. So manche AIDS-Hilfe in Österreich hat eine schwarze Liste von Ärzten, die sich weigern, HIV-Infizierte zu untersuchen. Darauf angesprochen, kommt oft: "Man kann mich ja nicht zwingen, oder?" Ist es unausweichlich, zu einem solchen Arzt zu gehen, wird den Betroffenen geraten, ihre Krankheit zu verschweigen. In Wien kämpft die Aids Hilfe gegen die Vorurteile der Ärzteschaft an und lädt immer wieder Hunderte zu Weiterbildungsvorträgen ein. Mehr als drei oder vier Mediziner kommen allerdings nie zu so einer Veranstaltung.

Schweigen und arbeiten

Den Mund zu halten sichert nicht nur eine "normale" Untersuchung beim Arzt, sondern ist oft auch die einzige Möglichkeit, im Erwerbsleben zu bleiben. Die Diskriminierung am Arbeitsmarkt ist groß. Ist jemand erst einmal beim AMS als HIV-Positiver vorgemerkt, ist es schier unmöglich, für ihn wieder Arbeit zu finden. Jene HIV-Infizierte, die über ihre Krank\0xFEFFheit schweigen, haben zwar noch eine Arbeit, leben aber in ständiger Angst, entdeckt zu werden. Der Aids Hilfe Wien ist ein Orchester-Musiker bekannt, der auf Grund seines Schweigens Panikzustände hat. Die Angst, jemand könnte etwas merken oder er könnte an einem Ort gesehen werden, der mit Aids in Verbindung gebracht werden kann, sind so groß, dass jeder Schritt in der Öffentlichkeit zur Tortur wird. Eines ist klar: Ist die Arbeit einmal verloren, gelingt nur äußerst selten ein Wiedereinstieg.

Schandfleck der Familie

Aids ist in den österreichischen Familien auch 25 Jahre nach dem Bekanntwerden noch immer ein Tabuthema. Schlimm ist es für Betroffene im Alter zwischen 30 und 50 Jahren, deren Eltern Aids noch immer fast ausnahmslos in Verbindung mit einem enthemmten sexuellen Lebensstil bringen. Die Scham und die Vorurteile sind groß. Stirbt ein Familienmitglied an einer aidstypischen Krankheit, wird gerne Krebs als offizieller Grund vorgeschoben, um der Umgebung nur ja nicht eingestehen zu müssen, dass der Sohn oder die Tochter an der Immunschwächekrankheit gestorben ist.

In Österreich sind zwischen 12.000 und 15.000 Menschen HIV positiv. Von den Betroffenen wissen rund die Hälfte über ihren Gesundheitszustand Bescheid und wiederum die Hälfte davon lebt in Wien. Regelmäßig durch die Aids Hilfe betreut werden in der Hauptstadt rund 1000 Klienten. Es gibt aber auch jene, die über ihre Lage im Klaren sind, therapiert werden und in einem Netzwerk aus Familie und Freunden aufgehoben sind. Dennoch muss weiter aufgeklärt werden, denn die Leichtsinnigkeit der Menschen nimmt zu. Die Kombinationstherapie kann als Freibrief missverstanden werden, auf das Kondom zu verzichten. Doch die Therapie ist kein Vergnügen, und die Medikamente können schwere Nebenwirkungen auslösen. Weiters führen Resistenzen gegen Bestandteile dazu, dass man austherapiert ist und nichts mehr hilft. Auch Langzeitstudien über die Auswirkungen der Therapie fehlen bislang.

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