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Sind die Tories bereit?

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Mitte Jänner haben Premierminister Sir Alec Douglas-Home und der Oppositionsführer Harold Wilson mit Reden in Swansea (Wales) und Birmingham den inoffiziellen Auftakt zu den Parlamentswahlen 1964 gegeben. Man wußte zwar schon vor einem Jahr von diesem unausweichlichen Ereignis; niemand, nicht einmal der wagemutigste Prophet,hätte aber vorausgesagt, daß Regierungspartei und offizielle Opposition unter den gegenwärtigen Führern in diesen Kampf ziehen würden. Künftige Chronisten werden vielleicht einmal das Jahr 1963 mit dem Kennzeichen „innenpolitisch sehr bewegt“ versehen. Denn kaum hatten sich die Gemüter über den unerwarteten Tod Hugh Gaitskells beruhigt, folgten die beschämende Pro-fumo-Affäre und der Ward-Prozeß im Frühling und die turbulenten Geschehnisse um die Macmillan-Nachfolge im Herbst. Die Berichte einiger Royal Commissions in den letzten Monaten über Fragen, die zusehends in den Blickpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit treten, wie Erziehung (Robbins Report), Ausbau der Forschung (Trend Report) und Verkehrsplanung (Bucha-nan Report) haben verklausuliert die Dringlichkeit von Entscheidungen vor Augen geführt. Das Stillschweigen der Konservativen über die wichtigsten Vorschläge dieser Kommissionen und zum Teil ihre Zurückweisung durch die Labour Party haben das Unbehagen verstärkt, das im vergangenen Jahr zumindest in den Schichten der Gebildeten entstanden ist.

Dieses Unbehagen hat der begonnene Wahlkampf nicht verringert. In seiner Rede in Swansea beschränkte sich der Premierminister darauf, die gewohnten Phrasen konservativer Sonntagsredner in einem neuen, schillernden Kleid darzubieten. Mr. Wilsons „brave new world“ (schöne neue Welt), sagte er, gleiche eher einem „1984“; alles, was die Sozialisten Großbritanniens bieten könnten, sei ein Utopia, allerdings ein solches, das bereits so altmodisch sei wie eine Konversation im Viktorianischen Stil. „Ihr Maschinenstürmertum gehört zum 19. Jahrhundert, ihr Wortschatz zu den dreißiger Jahren, und ihr Wirtschaftskonzept ist ein Überbleibsel der Nachkriegszeit mit ihrer Knappheit und Rationierung ... Nicht ein einziges (brauchbares) politisches Konzept über ein einziges wichtiges Problem — nichts als Schall und Wahn“ könne Mr. Wilson, „dieser geschickte Vertreter für künstliche Wissenschaften“ bieten. „Nichts ist weniger überzeugend als sein Versuch, die Arbeiterpartei in eine moderne Partei umzuformen.“ Sie sei der einzige „Rest von Klassenbewußtsein im Lande“.

Sorgfältig hat Sir Alec es freilich vermieden, auf direkte Fragen des Oppositionsführers, wie die Beziehungen zum Gemeinsamen Markt und die Minimalbedingungen, die erfüllt sein müßten, ehe Großbritannien der EWG beitrete, einzugehen.

Soweit ein Vorgeschmack des bevorstehenden Wahlkampfes, der, nach Ansicht der innenpolitischen Kommentatoren, einer der heftigsten der neueren Geschichte Englands werden dürfte. Welche Partei den Premierminister stellen wird, ist spätestens bis zum Oktober 1964 entschieden. Nach den Ergebnissen von Befragungen der Meinungsforschungsinstitute von Mitte Jänner hat sich in der Einstellung der Wähler zu den beiden großen Parteien nichts entscheidend geändert; zwischen den Stimmenanteilen der Labour Party und denen der Tories klafft noch immer eine Lücke von rund zehn Prozent. Ein sicherer Erfolg der gegenwärtigen Oppositionspartei scheint sich demnach abzuzeichnen. Es gibt aber Stimmen, die vor einem zu schnellen Urteil warnen und auf den Umstand hinweisen, daß seit 1945 fünfmal jeweils die Oppositionspartei einige Monate vor dem Wahltermin mit acht bis zehn Prozent führte, jedesmal aber das Pendel dann doch zugunsten der Regierungspartei zurückschwang. Diese Tendenz arbeitete zweimal für die Sozialisten und dreimal für die Konservativen. Sollte sich diese erstaunliche Erscheinung wiederholen, könnten die Sozialisten weitere fünf Jahre in der „Wilderness“ verbringen.

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