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Von der geistigen Analyse zur politischen Aktion

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Die Kongresse der liberalen Weltunion in Straßburg und der sozialistischen Internationale in Mailand lenken die Aufmerksamkeit auch der breiten Öffentlichkeit auf die verschiedenen Querverbindungen der europäischen Parteien und ihre Wirksamkeit in der internationalen Zusammenarbeit. Schon die beratende Versammlung des Europarates begünstigte die Bildung zwischenstaatlicher Fraktionen. Allerdings haben die Sozialisten von den sich bietenden Möglichkeiten schneller Gebrauch gemacht als die christlichen Demokraten. Vpn einer Einheit der letzteren, in politischer wie doktrinärer Hinsicht, zu sprechen, erscheint leider noch sehr verfrüht.

Sicherlich mag eine erste Betrachtung aller christlich - demokratischen Parteiprogramme Ähnlichkeiten, ja Übereinstimmungen feststellen. Marxismus wie Liberalismus als Gesellschaftsordnung werden zurückgewiesen, die schrankenlose Freiheit in wirtschaftlicher Beziehung ebenso abgelehnt wie der Klassenkampf. Am Ausgangspunkt jeder politischen Aktion steht die menschliche Persönlichkeit. Die Wichtigkeit der Familienpolitik wird von allen christlich-demokratischen Parteien ebenso betont, wie sich eine Übereinstimmung in der Frage der Erziehung und des Unterrichts erzielen läßt. Tiefe Gegensätze treten jedoch zutage, will man die wirtschaftlichen Konzepte harmonisieren. Von der freien Marktwirtschaft bis zu der gelenkten Wirtschaft tauchen verschiedenste Planungen auf, die sich nach historischen oder nationalen Bedingungen herauskristallisierten. Vergessen wir nicht, daß die christlich-demokratischen Parteien aus rein nationalen Grundlagen heraus erwachsen sind, während die sozialistischen Parteien von der Spitze ihrer Internationalen her zur Bildung nationaler Parteien gelangten. Am besten wird dieser Umstand durch den Namen der französischen Sozialistischen Partei illustriert, die sich auch heute noch SFIO (Section Franęais de ITnternationale Ouvriere) nennt. Eine internationale Organisation der christlich-sozialen Parteien vor dem Krieg hat nie bestanden. Sicherlich gab es sehr enge persönliche Kontakte und zwanglose Zusammenkünfte, die zweimal im Jahre stattfanden und an denen die Vertreter des deutschen Zentrums, der französischen Volksrepublikaner, der österreichischen Christlichsozialen Partei, der italienischen Volkspartei bis 1924, der heutigen Beneluxstaaten sowie Polens, Ungarns und der Tschechoslowakei teilnahmen. Die Schweizer Konservative Volkspartei fungierte dabei in der Regel als Beobachter.

Gerade die Schweiz war es, die nach dem Krieg, 1947, das erste Teffen christlich-demokratischer Parteien in Luzern veranstaltete. Im wesentlichen nahmen daran teil die Vertreter der Schweiz, Österreichs und der Beneluxstaaten, während Italien und Frankreich sich als Beobachter bezeichneten. Aber auch von belgischer Seite wurden Versuche unternommen, den christlichen Demokraten Europas eine gewisse internationale Or- ganisationsfoim zu schaffen. Auf einem

Kongreß in Belgien 1948 gelangte man zur Gründung der NEI (Nouvelles Equi- pes Internationales). In der NEI treffen sich die christlich-demokratischen Parteien von Italien, Deutschland, Österreich, Holland, Schweiz, Luxemburg und dem Saarland, während das MRP dieser Organisation bis heute nicht beitreten konnte. Dieser Umstand wird mit dafür verantwortlich zu machen sein, daß der NEI nicht eine politische Wirksamkeit großen Umfanges gewährt’ wurde. Das MRP weigerte sich immer wieder, in der einen oder anderen Form sich an eine internationale christliche Partei anzuschließen. Die französische Partei glaubt in den anderen christlich-demokratischen Parteien eine zu enge Verbindung zwischen Kirche und Staat zu erkennen. Weiter ist das MRP der Ansicht, daß die verschiedenartige Struktur der christlichdemokratischen Parteien eine Einheit der Aktion nicht zulasse. Nicht zuletzt fühlt sich das MRP als Wahrerin einer ausgedehnten sozialen Doktrin, die eine Veränderung der Gesellschaftsstruktur beinhalte, während die andern christlichdemokratischen Parteien einem zu konservativen Gedankengut folgten.

Diese deutlichen Distanzierungen wollen jedoch nicht heißen, daß sich das

MRP der internationalen Einheit christlich-demokratischen Ideengutes entgegensetzt. Die Französische Christlich-Demokratische Partei hat in maßgebender Weise die Europawerdung beeinflußt. Aber dieser Beitrag erfolgte in erster Linie aus dem Gefühl nationaler Verantwortung heraus und läßt sich nicht als Ausfluß einer europäischen christlichdemokratischen Organisation bezeichnen. Auch die belgische PSC hat sich nicht direkt der NEI angeschlossen, aber die belgische Gruppe der NEI identifiziert sich im wesentlichen mit der Kommission für auswärtige Angelegenheiten der Partei.

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