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Die Struktur Kakaniens
Neben das duftig-leichte Oesterreich-Buch von Ernst Marboe und das witzige, in Paradoxen schwelgende von Hans Weigel tritt nun dieses ernstere, ruhigere von Rudolf Henz. immer wieder waren es Dichter — wie Bahr, Hofmannsthal, Wildgans —, die Tiefes über Oesterreich und das Wesen des Oester- reichers zu sagen wußten Ihnen schließt sich nun würdig das Werk von Rudolf Henz an. Jede Zeile in ihm ist erfahren; diese Arbeit konnte nur aus einer tiefen Verwurzelung in der Heimat und aus einem lebenslangen, liebenden — und deshalb nicht unkritischen — Umgang mit ihr erwachsen. Gleich im einleitenden Abschnitt, den „Voraussetzungen”, gelingen Henz einige gültige Definitionen übet das Bleibende und Vergangene in der österreichischen Geschichte. Seitenlang könnte man daraus Stellen die man sich beim Lesen mit Bleistift anzeichnet, zitieren. Dann wendet sich Henz den Künsten, Bildung und Forschung, den Bundesländern und schließlich, in meisterlichen Feuilletons, den Spezialitäten zu, dem Kaffeehaus und der gastronomischen Geographie. Auch diese letztere, geschmackbildende, ist wesentlicher Bestandteil unserer Kultur. Nichts wird isoliert betrachtet, eines stützt und erklärt das andere. So wird der deutsche Leser etwa, der das Werk der Kafka, Musil, Broch, Roth liebt und hier Näheres von ihrer Welt wissen will, nicht beim Kapitel „Dichtung” stehenbleiben dürfen, sondern auch das lesen müssen, was in den einleitenden Kapiteln über Geschichte, Verwaltung und Beamtenwesen, Politik und Kirche und abschließend über das Kaffeehaus gesagt wird — erst dann wird er die Struktur „Kakaniens” in den Blick bekommen, von dessen Substanz sie alle zehrten, wie heute noch ein Gütersloh oder Doderer von ihr leben (nur der provinzielle Heimatdichter geht an ihr vorbei!). Oesterreicher wird man nicht bloß durch Geburt, Oesterreicher zu sein ist etwas, das man sich erwerben, das man lernen muß. Der echte Oester- reicher bezeichnet sich gern als „gelernten Oester- reicher”. Das ist kein sinnloser Scherz. Oesterreicher zu sein ist Lebenskunst; sie verlangt Gleichmut und Einsicht, überlegene Ruhe bei aller innerer Teilnahme, Abstand zu den Dingen bei aller Liebe zu ihnen, viel Selbstvertrauen bei allen Zweifeln an sich selbst, verlangt den Mut zur Improvisation und die Kraft, mit Provisorien leben zu können: zu leben, nicht ohne zu raunzen, aber ohne zu verdammen, nicht ohne zu resignieren, aber ohne zu verzweifeln. Oesterreicher zu sein ist die Geisteshaltung eines Menschen, der gelernt hat, mit vielen Gegensätzen zu leben, der mit de Welt auskommt, ohne sie unbedingt verbessern und nach der eigenen Fasson selig machen zu wollen. Oesterreicher zu sein ist die lebendige Illustration dessen, was „Koexistenz” praktisch bedeuten müßte, wäre das Wort nicht längst den Tod des Begriffes im „kalten Krieg” gestorben.
Der Waldviertler Bauernsohn, Bosniakenoffizier, Rundfunkmann, Katholik und Dichter Rudolf Henz ist ein solcher Oesterreicher, und sein Buch ist ein .durch und durch österreichisches. Es enthält das ganze Oesterreich — von der Literatur bis zum Li- tcratenkaffee, vom Abendland bis zum Zwölftonsystem. von der Schobergruppe bis zur Schöberlsuppe, vom Barock bis zur Wörterbuchkanzlei. Das Buch ist durch seine klare Sprache, seine übersichtliche, systematische Anordnung, seinen statistischen Anhang und ein umfangreiches Stichwörterverzeichnis nicht nur ein Lesebuch, sondern auch ein sehr informatives Nachschlagewerk.
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