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Du warst ein Fels

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Er war ein Mann, der seine Zeit mit klarem Blick betrachtete und ihrem Ungeist widersprach. In seinem literarischen Werk wendet sich christliche Moral gegen das Chaos, erlebte Kultur gegen den Anteil des Barbarischen in uns und um uns, menschenfreundliche Großzügigkeit gegen Haß und Verblendung. Sein Schreiben war der energische Versuch, die Welt zu formen. Damit war der Schritt zur Tat vorgezeichnet. Er zögerte nicht, als christlicher Reformer unmittelbar zu wirken. Nicht nur in seinen Büchern, auch in den von ihm geschaffenen oder geleiteten Institutionen wird er weiterleben.

Rudolf Henz, Dichter und Kämpfer für ein besseres öster-

reich, ist am 12. Februar in Wien gestorben. Am 10. Mai hätten wir seinen neunzigsten Geburtstag gefeiert. Das Fest hätte uns Gelegenheit gegeben, sein Werk zu würdigen, unsere Dankbarkeit und Gefühle der freundschaftlichen Verehrung in Worte zu fassen.

Wir liebten ihn, den unermüdlich tätigen alten Herrn, seine heitere und eigenwillige Art, Mißstände zu geißeln, uns an wesentliche Gestalten und Geschehnisse vergangener Zeiten zu erinnern, Jüngere zu fördern. Hier, im Umgang mit den Autoren neu angetretener Generationen, zeigte sich seine unbeugsame Toleranz am klarsten. Die von ihm gegründete Zeitschrift „Wort in der Zeit“, die nun „Literatur und Kritik“ heißt, war und blieb offen für jede Form von Qualität. An diesem Punkt war für Rudolf Henz die Begabung wichtiger als der eigene Geschmack. Seine Laudatio auf den Lyriker Ernst Jandl war für diese Haltung charakteristisch.

Nicht das Geburtstagsfest, sondern die Stunde des Abschieds ist nun der traurige Anlaß, einige wichtige Werke und Taten dieses erfüllten Lebens ins Gedächtnis zu rufen.

Aus dem Waldviertel ist Rudolf Henz nach Wien gekommen. Dort, in seiner engeren Heimat, hat er während der Okkupation durch Hitler-Deutschland 1938 bis 1945 Zuflucht gefunden. Die Erinnerung an diese sieben Jahre der inneren Emigration, in denen er, wie er gerne erzählte, sein Brot als Restaurator alter Kirchenfenster verdiente, ist in sein Romanwerk eingegangen. In Wien studierte Rudolf Henz Germanistik und Philosophie, veröffentlichte seine ersten Lyrikbände und Romane, schrieb die Dramen „Kaiser Jo-

seph II.“, „Die große Entscheidung“ und „Zwischenfall in An-tiochia“.

Bald fand er den Weg zum damals noch jungen Medium des Rundfunks. Die „Ravag“ gab ihm Möglichkeit, im Sinne eines tätigen Christentums volksbildnerisch zu wirken. Auf seine Anregung wurde mit der bis heute lebendigen Sendereihe des Schulfunks begonnen. Von 1933 bis 1938 leitete er dann die wissenschaftliche Abteilung der „Ravag“, in den Jahren 1945 bis 1957 war er ORF-Programmdirektor. Auch den Kirchenfunk hat Rudolf Henz ins Leben gerufen.

Organisatorische Verpflichtungen vermochten die literarische Arbeit nicht zu hemmen. In seinem Werk verdichtet sich Autobiographisches, Zeitgeschichtliches, Erdachtes und Erträumtes

zur sprachlichen Einheit. Ein analytischer Rückblick auf das umfangreiche (Euvre muß den Germanisten vorbehalten bleiben. Dem Dichter selbst waren freilich seine jüngsten Arbeiten am liebsten. Er meinte, die 1985 abgeschlossene Romantrilogie „Die Gaukler“ sei das höchste Ergebnis seines literarischen Strebens. Wenn man ihn nach anderen Werken fragte, verwies er auf sein Epos „Der Turm der Welt“ und auf die beiden autobiographischen Romane „Die Geprüften“ und „Fügung und Widerstand“.

In diesen beschreibt der Autor— gerade in seiner Subjektivität originell und überzeugend — eine widerspruchsvolle Zeit österreichischer Geschichte. Der jüngere Leser findet hier das Bild einer Epoche der Ratlosigkeit, des Elends, der Verblendung und der Hoff-

nung. Rudolf Henz stand an der Seite jener Christlich-sozialen, die mit allen, auch mit autoritären Mitteln versuchten, die fürwahr tödliche Gefahr des deutschen (und österreichischen) Nationalsozialismus abzuwehren. In einer Zeit, in der Ideologie den Realitätsbezug verdrängte, Fanatismus die ruhig abwägende politische Klugheit ersetzte, die allgemeine Not und zudem die Angst vor gewalttätigen Diktaturen rasches — oft genug unüberlegtes, ja gewaltsames — Entscheiden zu fordern schien, trieb letztlich alles auf die Katastrophe zu. Der Rückblick zeigt den Kern der Tragödie: die Unfähigkeit der Christlichsozialen und der Sozialdemokraten, angesichts der Nazi-Bedrohung eine notwendige Allianz des Widerstands zu bilden.

Der Dichter Rudolf Henz war niemals so töricht, nachträglich besser zu wissen, was die agierenden Figuren der Zeit nicht fühlen und begreifen konnten, und sich in Schuldzuweisungen zu ergehen. Er formuliert die Wahrheit in der Wirklichkeit, zeichnet das Bild des Labyrinths, bietet die Darstellung der beklemmenden Atmosphäre, die den Jahren des großen Mordens vorangegangen ist.

Im Jahre 1945 stand Rudolf Henz im achtundfünfzigsten Lebensjahr. Zäh und zielbewußt begab er sich an die Arbeit. Als Gründer des Katholischen Zentrums für Massenkommunikation, als Präsident der Katholischen Aktion in den Jahren 1948 bis 1958 förderte er entschieden das christliche Geistesleben, als führendes Mitglied des PEN-Clubs, des Presseklubs Concordia und des Kunstsenats gab er dem kulturellen Geschehen wichtige Impulse. Preise und Orden dankten für seine Arbeit.

Das Alter schwächte ihn nicht; gerade im letzten Jahrzehnt seines Lebens kämpfte er mit rebellischer Lust gegen die unheilige Allianz von ideologischer Verblendung und Kommerz. Seine bäuerlich anmutende Kraft, seine gläubige Zuversicht, seine Lust an der schöpferischen Arbeit blieben ungebrochen. Nun ist Rudolf Henz, der ewig Lebendige, von uns gegangen. Sein Werk und seine Wirkung werden von der Wissenschaft zu messen sein; wir, Jüngeren, haben einen väterlichen Freund verloren.

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