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Gestalt - Wandlung — Ebenbild

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Aus dem erschütterten Weltgefühl des Expressionismus, jener „Menschheitsdämmerung’, in der Werfel sang: „Fremde sind wir auf der Erde alle”, aus einer Generation, die den scheinbar gesicherten Immanenz- und Fortschrittsraum des 19. Jahrhunderts verlassen mußte, um in die Höllen des ersten Weltkrieges zu stürzen, aus dieser von neuen, bisher unbekannten Schrecken geblendeten Jugend von 1918 kommt der österreichische Dichter, Maler und Volksbildner Rudolf Henz.

„Alles Atmen ist Angst", so erklang damals auch seine Stimme, ekstatisch sucherisch, verzweifelt anklagend. In einem ersten Roman, der 1932 erschien, sind ihm alle Menschen nur „Gaukler", nur Schemen, falsch, halb, unwahr, böse. — Die beiden nächsten Romane, auch sie autobiographisch geprägt, sind ebenfalls Auseinandersetzungen mit der Kriegsund Nachkriegswelt. Die Hauptpersonen sind Künstler, aus ihrem geistigen Auftrag 'heraus Wissende, zur Rettung bestellt. Um diesen ihren Auftrag, um Erkenntnis und Gestaltung kämpfend, werden sie selber „Gestalt’. Dieses Personwerden, dieser bittere und schwierige Prozeß, sich aus der Masse der Gaukler zu lösen, wird von da an ein leitender Begriff im Werke des Dichters. Auch in lyrischen und dramatischen Gestaltungen wird das Zusichselberfinden des Menschen der erste Schritt zur Bewältigung einer neuen Zeit, neuer Aufgaben. Das innere Befeiligtsein des Autors, die Intensität seines Ringens führt allerdings mehr zu begrifflicher Formulierung, zu geistiger eher als zu imaginativer Gestaltung, läßt Henz als einen modernen Bekenner und Erzieher erscheinen. Erst da er sich selbst Gestalt geworden ist, innere Gewißheit gefunden hat, kann er, während des zweiten Weltkrieges, in drei neuen großen Romanen tröstlich hinauswirken. Der „Kurier des Kaisers", „Der große Sturm" und „Ein Bauer greift in die Sterne” sind wahre Volksbücher geworden. Ihre Helden, jeder in ähnlich bedrohter Zeit lebend, in Türkenkriegen, Kreuzzügen und im Siebenjährigen Krieg Maria Theresias, sind bereits „Person”, sind „besondere”, in ihrem Charakter fest umrissene Menschen. Was sie erfahren und erringen müssen, um zwischen Hochmut und Demut, in Kampf und Not ihrer Aufgabe gerecht werden zu können, ist nunmehr ein Neues: Wandlung. Diese Wandlung, eine Läuterung zum Glauben hin, zur Aufrichtung am festen Half der Kirche, macht sie fähig, das Chaos der Umwelf zu bestehen. Wandlung wird das zweite Hauptfhema, die Gestalt hat sich in eine größere Ordnung einzufügen, soll ihr Vorkämpfer werden.

Der mächtige Impuls des Expressionismus, seine Vision einer Menschheitserneuerung, wirkt in Henz noch weiter, wenn auch fast alle Jünger dieser Geistesbewegung längst verstummt sind oder zu anderen Experimenten gefunden haben. Henz entwickelt die Formensprache des Expressionismus weiter und macht sie zu einem getreuen Instrument für seine lyrische, dramatische und epische Aussage, die Aussage eines dynamische.47~- bäurisch-wuchtigen, „liebend hassenden" und „zürnend preisenden" Propheten der Erneuerung. Die großen Themen von Verkündung, Rühmung und anklagender Beschwörung wachsen ihm zu. Denn nie wird ihm Dichtung zum Part pour l’art, sie bleibt ihm, wie in Frühzeiten, Dienerin der Religion, Mittel zur Belehrung, zur geistigen Führung. Als Dichter wie als Maler — darin mit Barlach verwandt — sieht er in der mittelalterlichen Welt ein Vorbild, verbündet er sich jener Zeit der späten Gotik, der Zeit des schon bedrängten und noch glühend verteidigten Glaubens, aus der die Dämonen eines Grünewald und Bosch und Brueghel bereits hervorblicken. Feuerträume und Untergangsvisionen heute wie damals. Damals aber auch das große Dantesche Lied, das Schrecken und Gnade noch einmal zusammenbindet.

Dem entsetzlichen „goüt du nėant", wie Baudelaire es im 19. Jahrhundert nannte, der seither die Welf zu verwüsten begann, diesem immer kühner auffretenden Zerreißenden, ins Nichts Reißenden, Zerstörungslüsternen, Dämonischen, das ihn selbst oft mit seinen Einwirkungen bedrängt, trachtet Henz sein Gebot der Wandlung entgegenzuhalten, ein erzürnter Prophet, ein Rhetor, nicht unähnlich dem großen Abraham a Sancta Clara der Pestzeit, aber strenger, den Humor ausschließend. Nur eine neue Ordnung, Kraft aus dem Glauben, Kraft aus der Heimat, können den Menschen retten. In der „Oesferreichischen Trilogie" wird auch sie, die leidgeprüfte Heimat, gemahnt: „Verwandlung ist Gnade, auch Schläge und Qualen sind heilsam. Das Unvergängliche blickt nur noch aus Trümmern uns an . . .’

Diese Trümmer- und Feuerwelt einer chaotischen Gegenwart sucht der Dichter endlich in seinem letzten großen Werk, dem Epos in Terzinen, „Der Turm der Welt", allegorisch zu schildern, ins Apokalyptische zu steigern, wie ja nach Augustinus jeder Tyrann ein Vorausbild (quasi figūra) des Antichrist ist. Um diesen babylonischen Turm der Welt entstehen die Reiche der Blinden, Tauben und Stummen, von Tyrannen geführt, bis in einem furchtbaren Endkampf St. Thomas, Franziskus und Paulus den Bau und seine Herren vernichten. Aber der aufwachende Visionär finde) sich im brennenden Wien von 1945. Wohin Wandlung und Befreiung führen sollten, bleibt unausgesprochen, die letzte Deutung wurde dem bitteren Propheten nicht — noch nicht — gewährt.

Doch mag das Erscheinen Francisci ein tröstliches Zeichen sein. Schon im ersten Roman von Rudolf Henz faucht einmal, flüchtig, der Heilige von Assisi auf, da der junge Held als Soldat ein „italienisches Buch" findet, das er nicht lesen kann, aus dem ihn aber ein Bild des Poverello mit seltsamem Blick trifft. Wenn über dem Turm der Welt nun Franziskus erscheint, mag er, der große Menschenfreund, dem Dichter und uns durch ihn, vielleicht verkünden, daß im christlichen Ordo Virtufum die Liebe an höchster Stelle steht, die göttliche Tugend über der moralischen und verstandesmäßigen, und daß noch immer der Mensch Ebenbild Gottes ist, erlöst ist, jeder, auch der vom Chaos bedrohte oder verlockte. Und der Poverello mag dem Persongewordenen und Gewandelten vielleicht das „italienische Buch” öffnen, dorf, wo der größte christliche Dichter im Paradiso alle Trümmer und die versprengten, verwundeten und besudelten Blätter des Seins vereinigt findet „legato con amore in un volume”.

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