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Zweierlei Dank

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England fühlte sich geehrt, Amerika und ein Großteil der Presse der freien Welt applaudierte als die Entscheidung der Schwedischen Akademie bekannt wurde, Sir Winston Churchill den Nobelpreis für Literatur zu verleihen. Man rühmte den großen Staatsmann, den Meister der freien Rede und den wortgewaltigen Publizisten, der mit seinen Memoirenwerken vom „River War“, der den Feldzug Kitcheners im Sudan beschreibt, in „World Crisis“ (erster Weltkrieg) und den sechs Bänden über den zweiten Weltkrieg nicht nur sein eigenes Leben, sondern auch das Weltgeschehen kommentierend begleitete.

Es gab auch Gegenstimmen. Die entschiedenste tönte aus einem Stockholmer Blatt: ,,Die Verleihung des Nobelpreises für Literatur an Sir Winston Churchill beweist nichts anderes als die Inkompetenz der Schwedischen Akademie. Die unbestreitbaren Verdienste Churchills liegen auf ganz anderem Gebiet als dem literarischen. Die Auszeichnung des Gelegenheitsschriftstellers Churchill bedeutet nichts anderes als eine Entwürdigung des Nobelpreises. Zum Glück besteht keine ähnliche Auszeichnung, die vielleicht dem Maler Churchill verliehen werden könnte.“

Einige deutsche und französische Zeitungen machen, in ruhigerem Ton, sachliche Argumente gegen die Entscheidung der Schwedischen Akademie geltend. Der Nobelpreis für Literatur gebühre einem Dichter, einem Schriftsteller. Theodor Mommsen (1902) und Rudolf Eucken (1908) können nicht als Präzedenzfälle bemüht werden. Auch winke einem Staatsmann, einem Politiker — als der Churchill doch wohl in erster Linie zu gelten hat — ja noch der Friedenspreis der gleichen Stiftung. Und schließlich habe Alfred Nobel Memoirenwerke von der Prämiierung für Literatur ausdrücklich ausgenommen. Man hätte lieber Ernest Hemingway auszeichnen sollen, der während der letzten Wochen als Spitzenkandidat genannt wurde, oder einen der großen lebenden Franzosen. Aber die Entscheidung ist gefallen. Ein Staatsmann wurde an Stelle eines D i c Itters, ein Engländer statt eines Amerikaners oder Franzosen mit dem Nobelpreis bedacht. Kein Grund für uns zur Aufregung? Leider doch!

Wie man hört, war die Schwedische Akademie geneigt, einem deutschsprachigen Autor den Literaturpreis zu verleihen. Wie man weiß, hatte die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung sowie die Akademie in München den in der Schweiz lebenden Oesterreicher Rudolf Kassner vorgeschlagen. Dessen 80. Geburtstag wäre hierzu ein weiterer Anlaß gewesen. In einer Festschrift, die soeben erschienen ist, finden wir fast die gesamte europäische Prominenz versammelt. T. S. Eliot, Max Picard, Denis de Rougemont, Carl J. Burckhardt, Gabriel Marcel, F. G. Jünger, Otto Freiherr von Taube, Erich von Kahler, Martin Bodmer und viele andere feiern Kassner als großen Anreger und Freund.

Die Oesterreichische Akademie aber hat einen Vorschlag zugunsten Rudolf Kassners mit der Begründung abgelehnt, „weil die in Frankreich so außerordentlich beliebte und gepflegte Literaturgattung des Essays in Oesterreich keinen rechten Boden und nur geringe Resonanz hat und weil Kassner deshalb ihrer Ansicht nach nicht als repräsentativer österreichischer Anwärter auf den Nobelpreis für Literatur namhaft gemacht werden kann“.

Sieht man ganz davon ab, daß Kassner als „Essayist“ nur sehr unvollständig charakterisiert ist, so bliebe immer noch der Einwand, daß gerade Wien als erstrangige Heim- und Pflegestätte der Kunstform des Essays gelten kann. Zwischen Grillparzer und Hermann Bahr waren Kürnberger, Schlögl, Hevesi, Pötzl, Hofmannsthal und einige andere glänzende, weit über Oesterreichs Grenzen anerkannte Meister dieser Kunst. Doppelt erfreulich war es daher, daß bei Kassners Geburtstag durch den österreichischen Kulturattache in Bern, Prof. Raab (den Bruder des Bundeskanzlers), Rudolf Kassner in einer sehr herzlichen und eindrucksvollen Rede geehrt und ihm ein Schreiben des Unterrichtsministers Dr. Kolb überreicht wurde.

„Dieses Schreiben“, sagte Professor Raab, „ist der Ausdruck dafür, daß die für das Kulturleben Oesterreichs verantwortliche höchste Stelle sich bewußt ist, wie sehr Ihr geniales Schrifttum Oesterreich und dessen Kultur bereichert und beglaubigt hat und den Meister, der es schuf, geziemend zu ehren sucht. Sie haben das schöne Wort geschrieben: ,Ich habe mich von frühester Jugend an leidenschaftlich als Oesterreicher der alten Monarchie gefühlt“, und dieses übernationale Oesterreich haben Sie durch Ihr Menschentum lebendig und liebenswert einer Nachwelt erhalten. Deshalb dankt Ihnen Oesterreich am heutigen Tage.“

Wie man von anderer Stelle dem Gefeierten dankte, ist einige Zeilen weiter oben in dem bedauerlichen Ablehnungsschreiben der Akademie nachzulesen.

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