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Die Vergessenen?

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Die Nationalratswahlen dieses Jahres werden von zwei Faktoren entscheidend, wenn auch nicht ausschließlich, bestimmt werden.

Einmal von der „heimatlosen Rechten“, die jetzt in der Freiheitlichen Partei eine ihren politischen Leitbildern angemessene politische Einrichtung gefunden zu haben scheint.

Die zweite entscheidende Gruppe werden — wie bei jeder Wahl — die sogenannten Jungwähler sein.

Man scheint ganz einfach übersehen zu haben, daß ständig neue Schichten wahlberechtigt werden, die neu gewonnen werden müssen, durch Taten — und durch Sprüche, die aber nicht gleich jenen formuliert werden dürfen, die noch vor wenigen Jahren gangbare Münze waren.

Die Jugend von heute ist von einer peinlichen Nüchternheit und Konkretheit in ihrem Denken. Beileibe nicht ungläubig, wie man das oft, um sich auszureden, feststellt. Aber so weit nüchtern und ehrlich, daß sie die großen Worte, auch in der demokratischen Verpackung, auf das prüft, was dahinter steht.

Man übersehe nicht: die Mehrheit der Jungen, die 1959 erstmalig wählen, ist weltanschaulich nicht gebunden, es sei denn, man geht davon aus, daß: keine Weltanschauung zu haben, auch eine Weltanschauung ist. Nur eine verseht, indend kleine Minderheit aber ist par- teipolitiscn .'es gelegt, weiß, was für eine Partei sie wählen soll und warum sie dies tut. Das aber bedeutet, daß ein großer Teil der Jugend, ja die Mehrheit, für eine Stimmenabgabe gewonnen werden muß! Und gewonnen werden kann!

Aber nicht nur ein Parteibewußtsein fehlt. Was noch mehr fehlt — und dies übrigens in der Deutschen Bundesrepublik vielleicht noch in einem stärkeren Umfang —, das ist ein richtiges, auch einer Grenzsituation gewachsenes Staatsbewußtsein.

Die Führer der demokratischen Parteien — und nicht die unbedeutendsten — haben gute Lust, Verhältnisse zu schaffen, die denen der Ersten Republik peinlich ähnlich sehen.

Und nun sehen die Jungwähler dieses jämmerliche Schauspiel: daß sich Menschen, die am Dienstag im Ministerrat beisammensitzen, am Mittwoch öffentlich und persönlich befehden. Die Art, wie das kostbare Gut der Demokratie in unserem Land verwaltet wird, hat allmählich den Charakter der Blasphemie angenommen.

Auch die lächerliche Gleichsetzung von Partei und Staat („Nur wir sind die guten Oesterreicher“) wirkt auf die Jungen nicht ungemein gewinnend und vermag in ihnen kaum ein durch die Schule nur unzureichend vorgebildetes Staatsbewußtsein zu wecken.

Man überlege: Auch die österreichische Unabhängigkeit ist keineswegs auf alle Zeiten ge sichert, sondern muß in jeder Epoche unserer Geschichte neu gewonnen werden. Nicht durch übernationale Garantien, sondern durch Erziehung und dadurch, daß die Politiker Beispiel geben, durch eine Politik, die es der Jugend'vor allem sinnvoll und gewinnreich erscheinen läßt, in einem freien Land zu leben und nicht als „Gau" eines anderen Landes — mag man es auch heute euphemistisch „Europa“ nennen. Was die Jugend unseres Landes — und jede wache Jugend wo immer — will, das ist nicht ein Katalog abgeleierter Formeln, sondern: eine sichtbare, wenn auch nur teilweise Aenderung in der Führung der beiden Regierungsparteien, die allein eine Aenderung der Politik erwarten läßt, der es in den letzten Jahren zwar nicht an guten Konzepten und überragenden Leistungen gefehlt hat, die aber in einer neuen Zeit auch neue Konzepte benötigt. Was not tut, ist auch ein neues, wahrhaftiges Pathos im besten Sinn des Wortes.

Was die OeVP angeht: Ob die „Innsbrucker Formel“ die Jugend so ansprechen kann, daß man sich nun vornimmt, Volkspartei zu wählen?

Für das vieldeutige Programm der SPOe wieder gilt: Eine Partei, die allen alles sein will, ist keinem eine Herzensangelegenheit. Mit Recht hat die Volkspartei den Sozialisten die Programmlosigkeit ihres Programms vorgeworfen.

Damit aber werden die Jungen nur dürftig abgespeist. Und die Frage bleibt offen: Wer wird — bis zum Wahltag, und vor allem: darüber hinaus! — ihren Hunger stillen?

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